Dao

Kapitel 5 – Erfahrungen

Abschnitt 2

Nach einer Woche war ich in der Lage, noch ohne die Wassereimer, doch ohne Absturz von einer Seite zur anderen auf den Pfählen zu laufen. Ich kannte nunmehr jeden Pfahl und wusste im Schlaf wie ich auftreten musste, doch mit einem vollen Wassereimer gestaltete sich das wesentlich schwieriger. Mein Weg führte mich jetzt oft im Laufschritt zur Wasserstelle, um die Eimer wieder zu füllen, aber das ersetzte nun auch mein Lauftraining, denn ich nutzte jede mögliche Stunde zum Üben.
Die zweite Aufgabe, die mir Chen Shi Mal gestellt hatte war auch nicht leichter. Denn immer wenn ich dachte, es ginge nicht mehr weiter, drückte oder zog Wang Lee noch ein Stück, um die Sehnen noch mehr zu dehnen. Es war eine der härtesten Zeiten seit meiner Ankunft im Kloster, doch am Ende war ein Spagat für mich kein Problem mehr. Auch in den Ringen stehend, die am Ende von zwei Seilen angebracht waren, konnte ich mich in diese Position begeben. Bevor Mao Lu Peng wiederkam, gelang es mir auch, mich aus dieser Position wieder nach oben zu drücken. Dabei hielt ich nach Möglichkeit, mit den Händen weiter oben an den Seilen, nur das Gleichgewicht und stemmte mich mit den Beinen nach oben.
Mir war am Anfang gar nicht klar gewesen, was man am Körper alles dehnen und strecken konnte, und dass es mit so einfachen Hilfsmitteln möglich war. Besonders stolz war ich am Ende darauf, dass ich mit den Armen auf dem Rücken bis ins Genick greifen konnte. Auch, dass ich – die Beine vorm Bauch – meine Füße im Genick kreuzen konnte war etwas, das ich am Anfang nicht erwartet hatte. Alles schaffte ich nicht bis Han Liang Tian mit den anderen zurückkam. Aber ich hörte nicht auf, diese Übungen durchzuführen und wann immer sich die Gelegenheit bot, versuchte ich meine Beweglichkeit noch zu verbessern.
Nach fünf Wochen war ich schließlich in der Lage, zwei volle Wassereimer, trotz Störung durch Wang Lee, ohne Wasserverlust von einer Seite zur anderen zu tragen. Nachdem das einen halben Tag lang ohne Probleme geklappt hatte, entschlossen wir uns, Chen Shi Mal davon zu unterrichten.
Nun geschah etwas, das offenbar schon länger abgesprochen war, ich aber erst später herausfand.
›Sehr gut, ich möchte, dass du es uns morgen zeigst. Leider muss ich jetzt noch andere Aufgaben erledigen und ich möchte, dass ihr jetzt selbstständig weiter trainiert.‹
Er erklärte uns, was wir tun sollten und verließ uns mit fünf der besten Kämpfer. Ich hatte das Gefühl, dass nun einige der Mönche ein hinterlistiges Grinsen kaum verbergen konnten. Wang Lee beschäftigte mich aber so sehr, dass ich nicht weiter dazu kam, darüber nachzudenken.
Als ich auf meiner Pritsche zur Ruhe kam, fiel es mir wieder ein und ich schlich mich nach draußen. Doch ich konnte nichts Ungewöhnliches feststellen. Alles schien so zu sein wie immer. Die anderen schliefen anscheinend tief und fest und auch auf den Übungsplätzen fiel mir nichts auf. Ich blieb kurz bei den Pfählen stehen, stellte den Fuß auf einen von ihnen und blickte in die Runde. Kopfschüttelnd ging ich zurück. Was hatte ich mir da bloß wieder eingebildet. Nachdem ich mich wieder hingelegt hatte und schon fast eingeschlafen war, fuhr ich, plötzlich wieder hellwach, hoch. Es war doch etwas anders gewesen. Der Pfahl, auf den ich meinen Fuß gestellt hatte, hätte einen größeren Durchmesser haben und oben glatt sein müssen. Leise stand ich wieder auf und ging, dabei darauf achtend, dass mich niemand bemerkte, noch einmal hinaus. Und wirklich, als ich diesen Ort nun noch einmal genauer musterte, bemerkte ich, dass die Anordnung verändert worden war. Ich hatte in den letzten Wochen so viel Zeit auf diesem Platz verbracht, dass ich mittlerweile genau wusste, wo jeder Pfahl stand und wie er beschaffen war.
Langsam ging ich zwischen ihnen hindurch und strich mit den Händen darüber. Ja, sie waren teilweise anders angeordnet und auch vertauscht worden. Hier hätte ein abgeschrägter stehen müssen, aber jetzt befand sich an dieser Stelle einer, der eine glatte und kleinere Trittfläche hatte. Dort war am Morgen noch ein sehr dünner gewesen, doch nun sah ich an diesem Ort einen nach oben gewölbten. Auch die Entfernungen waren bei einigen anders und sie waren teilweise höher oder niedriger als vorher.
Ich konnte mir ein leises, grimmiges Knurren nicht verbeißen.
Na wartet, der Schuss geht nach hinten los!
Ich sprang auf die Pfähle und begann, auf ihnen hin und her zu laufen. Die helle Vollmondnacht half mir bei der Ausführung meines Vorhabens. Es fehlte nicht mehr viel bis zum Morgengrauen, als ich es endlich geschafft hatte, mit geschlossenen Augen, ohne zu stolpern, von einer zur anderen Seite zu laufen. Erst dann entschloss ich mich, wieder in meine Kammer zu gehen.
Ich hatte den Eindruck, ich sei erst eingeschlafen, als es schon wieder Zeit war aufzustehen. Bemüht, mich ganz normal zu verhalten, hielt ich den gewohnten, morgendlichen Ablauf ein. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich die anderen und konnte bei einigen, wenn sie sich unbeobachtet fühlten, bezeichnende Blicke wahrnehmen. Auch Wang Lee verhielt sich anders. Er versuchte, mir unauffällig aus dem Weg zu gehen und als wir uns dann dennoch trafen war er sehr wortkarg.
Als wir uns dann zum Training begaben, kam Wang Lee bewusst später und hielt sich im Hintergrund auf. Chen Shi Mal führte erst ein kurzes Training zur Erwärmung durch, bevor wir alle zu den Pfählen gingen. Ich war mir absolut sicher, diese Prüfung meistern zu können und konnte es kaum abwarten. Nur mit viel Mühe gelang es mir, mich völlig unverfänglich zu verhalten. Aber ich beobachtete genau, wie Chen Shi Mal und die anderen sich verhielten. Sie versuchten, mir den Blick auf die Pfähle zu versperren und mich mit anderen Dingen abzulenken, damit ich erst im letzten Moment die Veränderung bemerken konnte. Ich ging auf ihr Spiel ein und es gelang mir, sie in völliger Sicherheit zu wiegen.
Als wir angekommen waren, nahm Chen Shi Mal die Bambusstange auf und fragte in ganz belanglosem Ton, ob es für mich ein Problem wäre, wenn er beim Überqueren die Störungen übernehmen würde.
›Nein, überhaupt nicht! Mach nur. Es ist mir egal, wer das macht!‹
Ich griff schnell nach den Eimern und sprang auf die Pfähle. Meine Selbstsicherheit verblüffte die anderen sichtlich und ich hatte schon den vierten Pfahl erreicht, bevor Chen Shi Mal seinen ersten Stoß mit der Stange führte. Dieser war auf meine Füße gerichtet, um mich zum Stolpern zu bringen. Mit einem leichten Sprung zur Seite landete ich sicher auf zwei Pfählen, die nun unterschiedlich hoch waren. Hätte ich in der Nacht nicht heimlich geübt, wäre mit Sicherheit hier die Überquerung zu Ende gewesen.
Erstaunt rissen die meisten die Augen auf, Wang Lee kam einige Schritte nach vorn und stellte sich neben Chen Shi Mal. Dieser ließ sich noch das wenigste anmerken und führte gleich seinen nächsten Stoß. Er hatte den Eimer ins Visier genommen, doch da ich ihn nicht aus den Augen gelassen hatte, bemerkte ich rechtzeitig, wohin er gezielt hatte und machte schnell zwei Schritte zurück. Das Wasser in den Eimern näherte sich zwar gefährlich dem Rand, doch durch einige schnelle Schritte zur Seite und nach vorn gelang es mir ein herausschwappen zu verhindern.
Verblüfft, aber geistesgegenwärtig, führte Chen Shi Mal nun einige schnelle Stöße nacheinander und nur durch einen gewagten Sprung zurück konnte ich dem letzten ausweichen. Ein anerkennendes Murmeln ging durch die Reihen, doch es fiel mir ganz schön schwer, die Eimer ruhig zu halten. Chen Shi Mals Angriffe wurden nun aggressiver. Als ich gerade zu den nächsten Schritten ansetzte, wurde ich von einer schnellen Attacke gezwungen, mich nach hinten zu beugen und gleich wieder nach vorn, denn es folgte noch ein weiterer Stoß auf den Oberkörper. Durch diese Bewegungen war es dann unvermeidlich, einige schnelle Schritte nach vorn und zur Seite zu machen, um nicht abzustürzen. Dadurch war ich einige Pfähle vorwärts gekommen und Chen Shi Mal musste seine Position verändern, um mich weiterhin effektiv stören zu können. Deswegen war der nächste Stoß nicht so zielgenau und heftig geführt, was mir die Gelegenheit gab, einen kräftigen Tritt nach der Stange zu führen. Damit hatte Chen Shi Mal überhaupt nicht gerechnet und sie glitt ihm aus den Händen. Ich nutzte das sofort aus und erreichte mit wenigen schnellen Schritten das Ende der Pfähle. Doch Chen Shi Mal hatte die Stange wieder aufgenommen und warf sie nach mir. Mit einem Sprung hätte ich mein Ziel erreichen können, doch ich tat so, als ob ich seitlich ausweichen wollte und dabei das Gleichgewicht verlöre. Ich stolperte rückwärts und seitlich in Chen Shi Mals Richtung. Als ich ihn und Wang Lee fast erreicht hatte, stieß ich mich ab und mit einem Salto landete ich vor ihnen. Beim Sprung hatte sich der Inhalt der Eimer über die beiden ergossen, und nun standen sie verblüfft und pudelnass neben mir.
Langsam sah ich Ärger und Wut in Chen Shi Mals Gesicht hochsteigen. Jetzt wurde mir doch bange. War ich zu weit gegangen und hatte mir einen neuen Feind geschaffen? Doch plötzlich fing er an zu prusten und in einem herzlichen Gelächter entlud sich die Spannung. Erleichtert atmete ich tief durch und stimmte mit ein.
Nach einer Weile schüttelte sich Chen Shi Mal wie ein nasser Hund, sah mich an und fragte:
›Wer hat uns verraten?‹, dabei schweifte sein Blick von einem zum anderen und blieb schließlich an Wang Lee hängen. Ich schüttelte den Kopf.
›Keiner! Ihr habt euch selbst verraten. Euer seltsames Verhalten und vor allen Dingen das schadenfrohe Grinsen, das sich einige nicht verkneifen konnten, wenn sie sich unbeobachtet fühlten, haben mich stutzig gemacht.‹
Chen Shi Mal lachte wieder kurz auf.
›Ja, so ist das, wenn man sich nicht gut genug unter Kontrolle hat.‹ Er sah mir wieder in die Augen und ich spürte, dass der Ärger vom ersten Moment vollkommen verflogen war.
›Du hast den Test bestens bestanden! Zwar anders, als wir uns das vorgestellt hatten, aber deswegen auf keinen Fall schlechter.‹ Er zog sich die patschnasse Mönchskutte aus.
›Ich würde gerne noch wissen, wie du rausbekommen hast, was wir gemacht haben!‹
›Na ja, gleich gemerkt hab ich es nicht‹, gab ich zu. ›Ich konnte nicht einschlafen, weil mich euer Verhalten beschäftigt hat und dann bin ich noch mal raus und hab mich umgeschaut.‹ Nachdem ich auch noch erzählt hatte, dass ich noch einen zweiten Anlauf brauchte, bevor ich richtig gesehen hatte, was sich verändert hatte, nickte er anerkennend.
›Gut, gut, ich sehe, du hast deinem Chi vertraut und dich von ihm führen und leiten lassen. Das ist sehr gut und wiegt es auf, dass du uns durchschaut hast.‹ Nach einem Augenblick der Überlegung fragte er dann noch: ›Wie lange hast du geübt, um die neue Situation so gut zu beherrschen?‹
›Fast die ganze Nacht‹, gab ich zu. ›Bis ich es geschafft hatte, mit geschlossenen Augen von einer zur anderen Seite zu kommen.‹
Er deutete eine anerkennende Verbeugung an und wollte sich zum Gehen wenden, als er den Blick bemerkte, den ich Wang Lee zuwarf. Chen Shi Mal sprang sofort für ihn in die Bresche.
›Wang Lee trifft keine Schuld. Er hat nicht mitgeholfen und war auch nicht damit einverstanden. Doch ich habe ihm das Versprechen abgenommen, nichts zu sagen. Aber erst nachdem ich ihm erklärt habe, dass ich dich damit nicht lächerlich machen will, sondern es nur eine Probe ist, wie du dich auf so eine veränderte Situation einstellen kannst, gab er mir dieses.‹
Er klopfte Wang Lee, der immer noch bewegungslos und vor Nässe triefend neben ihm stand, auf die Schulter. ›Es ist ihm sehr schwergefallen und ich glaube, wenn er nicht immer unter Aufsicht gewesen wäre, hätte er vielleicht sein Versprechen gebrochen.‹ Nach diesen Worten drehte er sich um.
›Ich hol mir trockene Kleidung und dann fahren wir mit dem Training fort. Geht schon mal rüber und wärmt euch wieder auf.‹
Sich über die letzten Minuten unterhaltend, folgten die anderen Chen Shi Mals Anweisung. Nur Wang Lee stand immer noch wie versteinert da. Ich legte ihm den Arm auf die Schulter und lachte ihn an.
›Komm mein Freund, hol dir was Trockenes zum Anziehen!‹ Langsam löste sich seine Starre.
›Es tut mir leid! Ich …‹, er stockte kurz, ›es hat mir überhaupt nicht gefallen. Doch, ich konnte …‹ Mit einer beschwichtigenden Handbewegung unterbrach ich ihn.
›Lass es gut sein! Ich nehme dir nichts übel! Ich weiß, dass du mein bester Freund hier bist und ich denke, dass es auch gut so war, wie es gekommen ist. Es hat mein Selbstvertrauen und vielleicht auch die eine oder andere Meinung über mich sehr verbessert.‹ Ich sah die Freude über meine Worte in seinen Augen, puffte ihn leicht in die Seite und sagte:
›Nun los, geh schon.‹ Sichtlich froh darüber, dass wir immer noch Freunde waren, verließ er mich.
Das Eis war gebrochen. Nun gehörte ich wirklich dazu. Das Kampftraining fiel mir nun auch viel leichter. Von nun an machte ich wirklich gute Fortschritte. Ob das an meiner veränderten, wenn auch immer noch nicht optimalen Beweglichkeit, dem besseren Gleichgewichtssinn oder dem größeren Selbstvertrauen lag, spielte am Ende keine Rolle mehr.
Bei alledem hatte ich aber die Aufgabe, die mir Han Liang Tian gestellt hatte, nicht vergessen. Jeden Tag nahm ich mir ein wenig Zeit und konzentrierte mich bewusst darauf, die verborgene Kraft in meiner Umgebung zu entdecken. Langsam gelang es mir, diese zu spüren, doch es sollte noch lange dauern bis ich in der Lage war, sie zu nutzen.
An einem Abend, fast acht Wochen nachdem der Abt mit den anderen aufgebrochen war, saß ich, wie oft in letzter Zeit, wieder einmal bei dem kleinen Bäumchen und sprach mit ihm. Nach einer Weile öffnete ich die Augen und mein Blick fiel auf Han Liang Tian und seine Begleiter, die, von der untergehenden Sonne rötlich angeleuchtet, dem Kloster entgegenstrebten. Vor Freude darüber, dass der Abt wieder da war, wollte ich schon aufspringen und ihnen entgegeneilen, doch im letzten Moment bremste ich mich noch. Es war sicherlich nicht gut, wenn ich im Beisein von Mao Lu Peng den Abt so begrüßte. Also blieb ich sitzen, senkte die Lieder und dachte nur ganz intensiv:
›Hallo Han Liang Tian, es ist schön, dass du wieder da bist.‹
›Ich freue mich auch, deine Stimme wieder zu hören.‹
Überrascht riss ich die Augen auf und sah hinab zu der Gruppe Mönche, die nun schon fast das Klostertor erreicht hatten. In diesem Moment wendete der Abt, der zu mir hochgesehen hatte, seinen Blick wieder ab. War das möglich? Hatte ich wirklich auf diese Entfernung Kontakt mit ihm aufgenommen? Ich konnte es fast nicht fassen und doch war es so. Es war mir das erste Mal gelungen, ohne Hilfe von Han Liang Tian, den Gedankenaustausch zu beginnen. Und das gleich noch über eine größere Entfernung. Nun konnte ich es kaum noch erwarten, mit ihm darüber zu sprechen.
Doch ich musste mich noch einen ganzen Tag gedulden, denn Han Liang Tian wurde erst einmal von anderen in Beschlag genommen. Dafür hatte ich aber am nächsten Tag gleich wieder die zweifelhafte Freude, unter Mao Lu Pengs Anleitung trainieren zu dürfen.
Wir hatten schon einige Übungen gemacht, als er durch die Reihen ging und die einzelnen Mönche genau musterte. Bei mir blieb er stehen und verzog sein Gesicht.
›Ah, hier haben wir ja unseren Gast!‹ Wieder streifte ein verächtlicher Blick über mich hinweg. ›Nun, es wird sich jetzt einiges ändern und ich weiß nicht, ob ich unserem Anfänger hier weiterhin so viel Aufmerksamkeit widmen kann.‹ Er drehte sich um und ging wieder nach vorn. ›Vielleicht müssen wir ihn nun doch zu den Kindern schicken.‹ Nun wandte er sich um und schaute über die schweigende Menge. Gekonnt machte er eine kleine Pause, um die Spannung zu steigern. Ich sah mich vorsichtig um und konnte in vielen Gesichtern den Unmut, den diese Worte erzeugt hatten, sehen.
›Der Kaiser erwartet von uns mehr Unterstützung! Es gibt viele Räuberbanden im Lande und auch einige Fürsten beginnen sich Freiheiten zu nehmen, die ihnen nicht zustehen.‹ Wieder machte er eine kleine Kunstpause. ›Deswegen will der Kaiser, dass wir für die großzügigen Privilegien, die das Kloster hat, etwas mehr tun. Wir werden von nun an eine größere Truppe Kämpfer ausbilden und unterhalten. Weiterhin werden wir in kleineren Gruppen durchs Land ziehen und diesen Räuberbanden das Handwerk legen.‹ Noch eine kleine Kunstpause. ›Aus diesem Grund werden wir eine Aufteilung in verschiedene Gruppen vornehmen.‹ Er richtete sich stolz vor uns auf. ›Mich hat der Kaiser in den Rang eines Generals erhoben. Deswegen werde ich viel mit anderen Aufgaben zu tun haben und kann mich nicht mehr selbst um jeden kümmern.‹ Er deutete auf die Mönche, die er nun aufrief: ›Chen Shi Mal, Huang Li Tian, Liu Shi Meng, Cheng Wei Hu, Wang Hui Jie, Liu Gang Song, Sun De Long, Hsü An De, Mai Liang Guo und Hsiao Ning Bao, ihr werdet zu Hauptleuten ernannt und euch werden verschieden Truppen unterstellt.‹
Wieder deutete er auf verschiedene Mönche und rief:
›Du, du, du, …, und du.‹ So rief er etwa zehn der besten Kampfmönche auf. ›Ihr werdet euch bereit machen, damit ihr in den nächsten Tagen aufbrechen könnt. Auf unserem Weg hierher kamen wir durch eine Gegend, in der eine wirklich schlimme Räuberbande ihr Unwesen treibt. Diese werdet ihr unschädlich machen und den Behörden übergeben. Die Einzelheiten werde ich euch dann noch mitteilen.‹ Er schwelgte in der Macht, die ihm seine neue Position verliehen hatte. Nun teilte er die restlichen Mönche in drei Gruppen auf. In der ersten waren die sehr guten Kämpfer, diese sollten mit den Hauptleuten von ihm selbst in Höchstform gebracht werden. Die zweite Gruppe bestand aus den mittelmäßigen Kämpfern und wurde Chen Shi Mal anvertraut. Er sollte sie möglichst schnell zu den besten Kämpfern heranziehen. Und die dritte Gruppe mit den schlechtesten sollte von Huang Li Tian, einem weiteren Meister und jetzt Hauptmann, trainiert werden.
Mich und Wang Lee hatte er noch gar nicht aufgerufen. Bei mir konnte ich es ja verstehen, denn er konnte mich ja sowieso nicht ausstehen, doch Wang Lee war mit Sicherheit einer der Besten. Sollte seine Abneigung gegen mich so weit gehen, dass er Wang Lee wegen der Freundschaft zu mir bestrafte? Doch ich sollte nicht lange im Ungewissen bleiben, denn nun war ich an der Reihe.
›Ah, ja, da haben wir ja noch unseren Gast. Ja, wo sollte ich den denn unterbringen? Zu den Besten oder Guten gehört er ja sicherlich nicht! Soll ich ihn denn in die letzte Gruppe oder doch besser zu den Kindern stecken?‹ Sein Sarkasmus war fast nicht mehr zu übertreffen. ›Das Beste wird sein, ich mache mir jetzt selbst ein Bild davon. Komm her, und lass uns sehen, wohin du gehörst!‹ Mit diesen Worten winkte er mich zu sich heran.
Langsam ging ich nach vorn. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass Wang Lee und auch Chen Shi Mal aufbegehren wollten. Unauffällig bedeutete ich beiden, dass sie ruhig bleiben sollten. Widerstrebend kamen sie meinem Wunsch nach, doch die auf mich gerichtete Aufmerksamkeit ausnutzend, sprach Chen Shi Mal mit einem anderen Mönch und dieser verließ uns mit schnellen Schritten.
Mao Lu Peng hatte von all dem glücklicherweise nichts mitbekommen. Er war zu sehr mit sich beschäftigt. Seine Mönchskutte hatte er abgelegt und nun ließ er seine Muskeln spielen und machte sich warm. Als ich bei ihm ankam legte er auch gleich los.
›Gut, dann wollen wir doch mal sehen!‹
Bei diesen Worten prasselte eine Serie harter Schläge auf mich ein. Doch ich war darauf vorbereitet denn auf dem Weg zu ihm hatte ich mir immer wieder gesagt: Ruhig, ruhig, er ist besser als ich, doch er wird mich nicht erniedrigen. Mein Chi wird mich führen. Mein Chi wird mir helfen. Mit diesen Gedanken hatte ich die Führung an mein Chi übergeben und nun reagierte ich automatisch, ohne dabei nachzudenken. Den ersten vier, fünf Schlägen wich ich aus oder blockte sie mit den Unterarmen ab. Doch der letzte Schlag prallte vom Unterarm ab und traf noch ganz schön hart meinen Bauch. Aber mein Chi hatte reagiert und sofort alle Bauchmuskeln angespannt. Der Schlag presste mich zwar etwas nach hinten, doch ich glaubte, seine Faust täte ihm mehr weh als mir der Bauch. Er war nicht darauf gefasst gewesen, dass ich mich so gut halten würde und hatte die Schläge ohne große Konzentration geführt.
›Oh, ich sehe, unser Gast hat dazu gelernt‹, sagte er spöttisch. ›Doch das wird ihm auch nicht viel helfen!‹, presste er aggressiv hervor und traktierte mich mit einer Arm-Fuß-Kombination. Wieder gelang es mir, halbwegs gut den Schlägen auszuweichen oder sie abzuwehren. So folgten noch einige Angriffe, die ich mehr schlecht als recht, doch mit relativ hohem Erfolg, abwehrte. Das machte ihn immer wütender und die Angriffe immer härter. Mittlerweile konnte ich den rechten Arm nur noch mit Mühe heben, denn ein harter Treffer hatte ihn fast taub gemacht. Auch einige Rippen taten beträchtlich weh, sodass mir das Atmen langsam schwerfiel. Doch aufgeben wollte ich nicht. Ich wollte ihm endlich beweisen, dass ich auch mit dazugehörte, denn von allen anderen wurde ich ja mittlerweile akzeptiert.
Wieder folgte eine kräftige Schlag-Tritt-Kombination, die mich zum ersten Mal zu Boden beförderte. Einige wollten mir zu Hilfe eilen, doch sein wütender Blick ließ sie erstarren. Zweimal tief durchatmend, sprang ich wieder auf und stellte mich in Erwartung der nächsten Schläge in Position. Mao Lu Peng setzte an, doch mitten in der Bewegung ließen ihn die barschen Worte des Abtes abbrechen:
›Es reicht, Mao Lu Peng!‹
Mit wutverzerrtem Gesicht wendete sich Mao Lu Peng um, um denjenigen, der das gesagt hatte, anzugehen. Doch nun riss er die Augen, die zu schmalen Schlitzen geworden waren, auf. In seiner Wut hatte er die Stimme des Abtes nicht erkannt und dieser stand ruhig, aber mit einer Haltung und Miene, die keinen Widerspruch duldete, vor ihm. Es zuckte in Mao Lu Peng und am liebsten wäre er den Abt angesprungen, doch dessen Ausstrahlung war enorm und Mao Lu Peng wirkte wie ein Zwerg vor ihm.
›Es reicht, habe ich gesagt! Wir hatten uns schon auf dem Rückweg darüber unterhalten, dass du auf Wunsch des Kaisers freie Hand bei den Kämpfern hast. Doch das Klosterleben und Gü Man unterstehen dir nicht! Weiterhin hatte ich dich gebeten, dass du Wang Lee die freie Wahl lässt, ob er bei euch Kämpfern bleiben möchte oder mir weiterhin hilft, Gü Man zu unterrichten. Ich hoffe, das hast du bedacht!?‹
›Ja, ich habe ihn nicht mit eingeteilt‹, knurrte Mao Lu Peng zurück.
›Gut, wenn Wang Lee einverstanden ist, dann werde ich mit ihm und Gü Man jetzt gehen, um deine weitere Arbeit nicht zu stören.‹
Han Liang Tiang sah Wang Lee in die Augen, dieser überlegte nicht lange und schloss sich sofort dem Abt an. Wir hatten noch keine drei Schritte gemacht, als sich der Abt blitzschnell umdrehte und mit dem rechten Arm eine Bewegung machte, als würde er etwas vom Boden aufheben und wegschleudern. Ein Kampfstab, der zu Übungszwecken genutzt wurde und in der Nähe von Mao Lu Peng lag, flog hoch und zerbarst mit lautem Krachen an einem nahestehenden Baum.
›Halte mich nicht für ein Kind, Mao Lu Peng!‹
Es war, als hätte dieser einen Schlag abbekommen. Er hatte sich gerade danach bücken wollen, nun wich er einen Schritt zurück und duckte sich wie ein geprügelter Hund. Ruhig, als wäre nichts geschehen, setzte Han Liang Tian seinen Weg nun fort.

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