Kapitel 14 – Die Gesandtschaft
Abschnitt 3
Am nächsten Morgen, bei Sonnenaufgang, brach ich mit Wang Lee, Chen Shi Mal und Liu Shi Meng auf. Wir beschritten den Weg, auf dem ich im Winter nach Shaolin zurückgekehrt war, und als ich mich noch einmal umschaute zu dem Ort, den ich nun für immer verlassen wollte, wurde mir doch schwer ums Herz. Schnell wandte ich mich wieder um und ging weiter. Die anderen hatten es bemerkt und überließen mich noch für eine Weile meinen Gedanken.
Erst als wir außer Sichtweite des Klosters waren, kam ein Gespräch auf. Dies drehte sich zumeist um die Jahre, die ich mit ihnen verbracht hatte und ich merkte, wie sehr mir diese Menschen doch fehlen würden. Vor allem Wang Lee war mir immer ein treuer Freund gewesen und ich wäre am liebsten wieder mit ihm zurückgekehrt. Es drückte mir schwer auf die Seele und ich wurde immer stiller.
Als wir in einem Gebirgstal an einem schmaleren Weg vorbeikamen, der nach links in die Berge hinein verlief, blieb ich unvermittelt stehen.
›Was ist? Du siehst so erschrocken aus‹, fragte Wang besorgt.
›Ich weiß auch nicht. Spürt ihr das nicht?‹
Sie sahen sich verständnislos an. ›Was sollen wir spüren? Hier ist doch nichts.‹
Wieder sah ich den Weg hinauf, der hier abzweigte, und wieder hatte ich das seltsame Gefühl, dass dort etwas wäre, das ich ergründen müsse.
Ich schüttelte den Kopf. ›Ich kann’s euch nicht erklären, doch irgendwie hab ich das Gefühl, ich müsste dort entlang. Irgendetwas ruft mich. Es ist wie ein Schrei um Hilfe.‹
Ich sah, wie Wang Lee in sich hineinhorchte, doch nach kurzer Zeit schüttelte er wieder den Kopf.
›Also, ich spür nichts.‹ Er sah Chen Shi Mal und Liu Shi Meng an. ›Und ihr?‹
Doch auch diese konnten nichts Ungewöhnliches erkennen oder spüren.
›Wo führt dieser Weg hin?‹, fragte ich.
›Es ist ein schmaler, wenig begangener Pfad in Richtung Zhenzhou. Es ist zwar eine kürzere Verbindung dorthin, doch die Reise dort entlang ist sehr beschwerlich. Es gibt auf dieser Strecke viele Gebirgspässe und keine Möglichkeit, ein Quartier für die Nacht zu finden. Nur selten und dann meist von Einheimischen wird dieser Weg genutzt.‹
Wir blieben noch einen Augenblick stehen und ich kämpfte mit mir, doch schließlich gingen wir weiter. Da ich der einzige war, der etwas gespürt hatte, ließ ich mich von den anderen überzeugen, unsere Reise fortzusetzen. Sie schoben es auf meinen Gemütszustand und meinten, dass mir meine Sinne sicherlich einen Streich gespielt hätten.
Wir hatten nun mehr als die Hälfte der Strecke zwischen Shaolin und Dengfeng zurückgelegt und es schien, als hätten sie recht. Je weiter wir uns von dem Weg entfernten, umso schwächer wurde das Gefühl, dorthin zu müssen. Als ich dann auch noch durch ein intensives Gespräch abgelenkt wurde, hatte ich den Vorfall schon fast vergessen. Doch als wir Dengfeng erreichten, hatte ich wieder den Eindruck, jemand rufe um Hilfe. Ich wurde immer unruhiger und ich konnte später nicht mehr sagen warum, doch mich auf mein Chi verlassend, fragte ich einen Einheimischen nach den Japanern.
Dieser sah mich verständnislos an und meinte, dass in den letzten zwei Tagen mit Sicherheit niemand aus Richtung Shaolin gekommen wäre. Schon gar nicht eine Gruppe Fremder. Diese wären auf jeden Fall aufgefallen, denn es käme selten vor, dass Fremde sich hierher verirrten, und einen Weg an Dengfeng vorbei gäbe es nicht, meinte er.
Wie ein Blitz durchzuckte mich die Erkenntnis. Die Gesandtschaft hatte den schmalen Weg in Richtung Zhengzhou genommen und irgendetwas war ihnen zugestoßen. Ich teilte den anderen diesen Gedanken mit, doch diesen erschien es recht unwahrscheinlich, dass meine Vermutung richtig war.
›Warum sollten sie da entlang gegangen sein?‹, fragte Wang Lee. ›Der Gesandte wird wohl kaum mitten in den Bergen im Freien übernachten wollen. Und auch wenn es eine kürzere Verbindung ist, deswegen werden sie doch nicht schneller in Zhengzhou sein.‹
›Ich weiß, ihr habt es mir ja schon erklärt, dennoch bin ich mir jetzt sicher, dass es so ist und ich werde sofort dorthin aufbrechen. Mein Chi sagt mir, dass sie Hilfe brauchen und ich hatte vorhin an der Abzweigung schon dieses Gefühl. Nun haben wir Zeit verloren, weil ich nicht gleich diesen Weg gewählt habe und ich werde versuchen, so schnell wie möglich dorthin zu gelangen.‹
Ohne weiter auf ihre Gegenargumente zu achten, übergab ich dem Einheimischen mein Bündel und bat ihn darauf aufzupassen. Es war ein Bergbauer und sein Haus war nicht weit weg. Er versprach, es sicher zu verwahren und teilte mir mit, wo ich es wieder abholen konnte. Dann setzte ich mich in Bewegung und im Laufschritt ging es den Weg zurück, den wir gerade gekommen waren.
Verständnislos den Kopf schüttelnd folgten mir die drei. Sie teilten zwar meine Ansicht nicht, doch alleine lassen wollten sie mich auch nicht.
Als wir den Weg erreichten und ihm in die Berge hinein folgten, wurde das Gefühl immer stärker. Ich hatte immer mehr den Eindruck, dass jemand um Hilfe riefe. Automatisch beschleunigte ich meine Schritte immer mehr und die anderen hatten Mühe, mir zu folgen.
In meinem täglichen Lauftraining hatte ich mich bemüht, immer schneller zu werden und nach einiger Zeit auch eine gute Methode entwickelt, mit der ich das schaffte. Ich machte meinen Geist frei von allem, was mich behinderte und konzentrierte mich nur auf das Laufen. Nur noch meine Füße, die mit sicherem Tritt den Boden berührten und meine gleichmäßige, tiefe Atmung waren wichtig. Dabei sagte ich mir immer wieder: Du bist leicht wie eine Feder und mühelos tragen dich deine Beine dahin.
Das funktionierte so gut, dass ich eine Geschwindigkeit und Ausdauer erreichte, wie ich es früher nie für möglich gehalten hätte.
Nach einiger Zeit schaute ich mich nach den anderen um. Ich hatte ihren schweren Atem vermisst und richtig, einige hundert Meter hinter mir quälten sie sich den Berg hinauf. Meinen Lauf unterbrechend, schaute ich nach vorn, konnte aber auch im nächsten Tal nichts Außergewöhnliches entdecken. Doch die Stimme in mir war immer stärker geworden und ich schwankte, ob ich weiterlaufen, oder auf die drei warten sollte. Doch diese waren nun schon wieder nähergekommen und ich entschloss mich, auf sie zu warten. Nach kurzer Zeit hatten sie mich erreicht und Wang Lee stieß keuchend hervor:
›Jetzt spür ich’s auch! Aber wir können dir nicht so schnell folgen! Ich dachte immer, ich sei ein guter Läufer, doch mit dir kann ich nicht mithalten. Ich weiß nicht, wie du das machst, aber wenn man dir nachschaut, hat man das Gefühl, du schwebst über den Boden, und es kostet dich anscheinend kaum Kraft, so schnell zu laufen.‹
›Ganz so ist es zwar nicht, doch das ist jetzt auch egal. Du sagst, du kannst es jetzt auch spüren?‹
Wang Lee nickte nur und versuchte weiterhin wieder zu Atem zu kommen.
›Also hat mich mein Chi doch richtig geleitet. Und ihr?‹ Fragend sah ich die beiden anderen an, doch Liu Shi Meng schüttelte nur den Kopf und Chen Shi Mal keuchte:
›Bin mir nicht sicher.‹
Ich wandte mich wieder Wang Lee zu.
›Was spürst du?‹
›Einen starken Wunsch um Hilfe, doch auch Schmerz und ohnmächtige Wut.‹
›Wie ich, und ich habe den Eindruck, es wird immer dringender!‹ Ich richtete mich auf. ›Kommt weiter!‹
Wir setzten uns wieder in Bewegung. Da es nun ins nächste Tal hinunter ging, konnten sie auch erst einmal mein Tempo mithalten, doch ihr rasselnder Atem zeigte, wie schwer es ihnen fiel. Wir hatten nun schon eine lange Strecke im Laufschritt zurückgelegt und selbst sie, als geübte Läufer, kamen jetzt langsam an ihre Grenzen. Wenn ich nicht täglich geübt und dabei diese Technik entwickelt hätte, dann würde es mir sicherlich nicht besser gehen oder gar schlechter.
Als die nächste Steigung kam lief ich ihnen davon. Die Stimme in mir war mittlerweile so stark, dass es mich nun nicht mehr hielt. Ich lief ihnen davon und erreichte weit vor ihnen die nächste Höhe. Diesmal blieb ich nicht stehen, sondern lief in der gleichen Geschwindigkeit weiter, doch nur wenige Meter unterhalb des Höhenrückens blieb ich abrupt stehen. Vor mir im Staub des Weges sah ich Blutspuren. Aufmerksam schaute ich mich um und entdeckte seitlich im Gebüsch eine zusammengekrümmte Gestalt.
Langsam näherte ich mich dieser Stelle. Ich wollte mich gerade nach vorn beugen, als ich plötzlich in die Schwertspitze eines Japaners blickte. Obwohl er schwer verletzt war und sich nur mühsam bewegen konnte, hatte er sich bei meiner Annäherung herumgewälzt und streckte mir mit zornfunkelnden Augen sein Schwert entgegen. Schnell fuhr ich zurück und machte eine beruhigende Geste. Mich vorsichtig musternd, senkte er langsam sein Schwert. Anscheinend beruhigte ihn meine Mönchskleidung, denn er ließ das Schwert nun ganz fallen und begann hastig zu reden. Doch er sprach japanisch, was ich nicht verstand, nur den starken Wunsch nach Hilfe spürte ich nun wieder.
Fieberhaft überlegte ich, wie ich wohl herausbekommen könnte, was er wollte, doch mir fiel nichts Richtiges ein. Schließlich kam ich zu der Überzeugung, dass ich mich vielleicht erst einmal um seine Wunde kümmern sollte. Ich beugte mich herab, um die stark blutende Wunde an seiner Seite zu begutachten, doch er wehrte ab und zeigte immer wieder auf den Weg. Nach einiger Zeit verstand ich schließlich, dass er mich aufforderte weiterzulaufen und seinen Kameraden zu Hilfe zu eilen. Durch viele Zeichen und Gesten machte er mir dann noch begreiflich, dass es anscheinend einen Kampf gegeben hatte, oder noch gab. Dass er verwundet wurde und kurze Zeit ohnmächtig gewesen war. Die Angreifer hielten ihn anscheinend für tot, weswegen sie ihn auch nicht weiter beachteten. Nach einiger Zeit kam er wieder zu sich, doch als er sich dann erheben wollte, merkte er, dass er aufgrund seiner Verletzung keine große Hilfe mehr sein konnte. Aus diesem Grund entschloss er sich, zurückzugehen und Hilfe zu holen. Doch weit war er nicht gekommen. Er hatte immer wieder anhalten müssen und hier war er schließlich zusammengebrochen.
Ich bedeutete ihm, dass ich verstanden hatte, aber vorher seine Wunde versorgen wollte, doch wieder wehrte er ab und forderte mich auf, den anderen zu Hilfe zu eilen. Es widerstrebte mir, ihn so liegen zu lassen, doch zum Glück kamen in diesem Moment meine drei Freunde an.
Liu Shi Meng hing am weitesten hinterher und ich bat ihn, sich um den Verletzten zu kümmern. Die anderen beiden forderte ich auf, mir zu folgen. Wir setzten uns wieder in Bewegung und beim Laufen erzählte ich ihnen, was ich herausgefunden hatte. Obwohl ich durch das Erzählen jetzt fast genauso kaputt war wie sie, war ich mir doch sicher, dass ich mit meiner Methode wieder zu Atem kommen würde. Als ich ihnen alles mitgeteilt hatte verfiel ich wieder in meinen Laufstil. Sie sollten mir so schnell es ging folgen, sich jedoch möglichst nicht ganz verausgaben, da wir ja nicht wussten, was uns noch erwartete.
Ich beschleunigte meinen Schritt wieder und nach einiger Zeit konnte ich auch meine Atmung wieder in den Griff bekommen. Doch nun merkte ich langsam meine Beine. Sehr weit würde ich in diesem Tempo nicht mehr kommen. Ich verlangsamte meinen Schritt und fast im gleichen Augenblick spürte ich, dass ich nun nicht mehr weit weg sein konnte.
Aufmerksam beobachtete ich den Weg und als die nächste Biegung kam, lugte ich erst vorsichtig herum, bevor ich weiterging. Hier war ihnen anscheinend aufgelauert worden. Ich sah viel Blut und Kampfspuren. Als ich die Umgebung vorsichtig absuchte, fand ich fünf tote Japaner und acht tote Chinesen. Allesamt hatten schwere Hieb- und Stichwunden.
Der Platz war ideal für einen Überfall geeignet. Nach der Wegbiegung wurde das Tal enger und auf beiden Seiten stand dichter Wald. In diesem hatten sich die Chinesen anscheinend versteckt und waren dann über die Gesandtschaft hergefallen. Doch so, wie es aussah, war nicht alles so gelaufen, wie die Angreifer es geplant hatten. Entweder hatten die Japaner etwas gemerkt oder ihre Gegenwehr war so überraschend stark ausgefallen, dass die Chinesen ihren Vorteil sofort wieder verloren hatten.
Vorsichtig folgte ich den Spuren weiter. Es hatte den Anschein, dass sich die Japaner immer weiter zurückgezogen hatten. Vielleicht in der Hoffnung, eine günstiger Stelle zur Gegenwehr zu finden. Doch anscheinend wurden sie von den Chinesen ständig weiter attackiert. Ich fand noch acht weitere tote Japaner und zwölf tote Chinesen. Das war ja schon fast eine kleine Schlacht, dachte ich, als ich plötzlich Geräusche vor mit hörte. Schnell suchte ich Deckung hinter einem großen Felsblock, doch die Geräusche kamen nicht näher.
Vorsichtig, ständig auf einen Angriff gefasst, ging ich weiter. Die Geräusche wurden lauter und bald erkannte ich, dass sie von einem Kampf herrührten. Ich beschleunigte nun meinen Schritt wieder und als ich nach einer neuerlichen Wegbiegung das nun wieder breitere Tal überblicken konnte, sah ich, nur etwa vierzig bis fünfzig Schritt entfernt, die Japaner in arger Bedrängnis.
In das Tal mündete aus einer Seitenschlucht ein kleiner Fluss und in diesen Engpass hatten sich die Japaner zurückgezogen. Der Fels war glatt und steil, sodass die Seitenwände hier nicht bestiegen werden konnten. Am Boden der Schlucht bahnte sich der Fluss seinen Weg in das Tal und ließ, auf der mir zugewandten Seite etwa drei Meter Platz bis zur Felswand.
Der Daimyo hatte dies als günstige Verteidigungsstellung erkannt und sich mit seinen Leuten dorthin zurückgezogen. Doch so, wie es aussah, wurden sie dabei heftig attackiert und hatten nochmals Verluste auf dieser kurzen Strecke. Die Packpferde waren in der Gewalt der Angreifer und eins der Reittiere lag, nicht weit von mir, tot auf einem Menschen, dessen Beine ich nur sehen konnte. Auch einige Leichen säumten den Weg, doch ich machte mir nicht die Mühe zu zählen, wie viele Japaner und Chinesen es waren.
Wenn ich helfen wollte, musste es bald geschehen, denn die Japaner schienen erschöpft und zum großen Teil verletzt zu sein. Durch den engen Schluchteingang konnte ich es nicht genau sehen, doch sehr viele schienen es nicht mehr zu sein, und ihnen standen noch etwa fünfzehn Angreifer gegenüber.
Ich überlegte, wie ich mich dieser Übermacht stellen sollte, doch mir wollte keine rechte Strategie einfallen. Kurzentschlossen stand ich dann auf und überließ alles Weitere meinem Chi.
Mit ruhigen Schritten ging ich auf sie zu und versuchte all meine Kraft in meine Ausstrahlung zu legen. Auf den ersten Schritten bemerkte mich keiner, doch als ich fast die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte, wurde einer der Chinesen beim Angriff auf die Japaner zu Boden geschleudert. Als er sich wieder aufrichtete, fiel sein Blick auf mich und er schrie den anderen eine Warnung zu.
Die kurze Verwirrung nutzten die Japaner aus und zwei ihrer Feinde büßten es mit dem Leben. Doch schnell hatte der Anführer der Chinesen seine Leute wieder im Griff. Vier von ihnen schickte er mir entgegen und der Rest drang wieder auf die Japaner ein. Langsam ging ich weiter und nahm dabei einen Speer auf.
Jetzt war ich froh, dass wir doch sehr oft mit Waffen geübt hatten, denn zwei meiner Gegner waren ebenfalls mit Speeren bewaffnet. Uns trennten nur noch wenige Schritte und die beiden Speerträger stürmten plötzlich los. Damit sie nicht einschätzen konnten, wie ich reagieren würde, ging ich ruhig weiter. Das verunsicherte sie sichtlich und ihr Angriff fiel nicht so gut aus, wie er vielleicht geplant war.
Die beiden versuchten, mich von zwei Seiten her zu attackieren und in der Mitte stürmten nun die zwei anderen nach vorn. Mit einer gesprungenen Rolle nach der Seite brachte ich mich in Sicherheit, schnellte wieder hoch, drehte mich dabei und stieß dem einen meinen Speerschaft so heftig in den Rücken, dass ich die Rippen bersten hörte. Mit einem dumpfen Laut krachte er zu Boden. Doch schnell musste ich wieder die Stellung wechseln, denn die anderen ließen sich davon nicht beeinflussen. Mit einer Drehung nach der Seite wich ich dem Speerstoß des zweiten Speerträgers aus. Dabei griff ich die Waffe und nutzte den Schwung meines Gegners zu einem Gegenschlag. Ihn nach vorne reißend, raubte ich ihm den Stand und er stolperte genau in das Schwert des dritten Angreifers. Doch die daraus resultierende Verletzung war nicht weiter schlimm. Er trug nur eine Fleischwunde am linken Unterarm davon. Das reizte ihn nur noch mehr und ungestüm drang er auf mich ein.
In der Zwischenzeit hatte mich aber der vierte Gegner erreicht und einen Schlag mit seinem Schwert gegen mich geführt. Ich konnte diesen zwar abwehren, doch den Speer büßte ich dabei ein. Er führte seinen nächsten Angriff und der verletzte Speerträger drang zur gleichen Zeit auf mich ein. Mit einer Drehung zur Seite brachte ich mich vor den beiden Waffen in Sicherheit, dabei griff ich den Schwertarm des einen, drehte mich weiter und schlug mit dem Handballen der rechten Hand gegen seinen Ellenbogen. Es klang, als wäre ein straff gespannter Lederriemen zerrissen, und sein Unterarm stand in die falsche Richtung. Mit einem lauten Schmerzensschrei ließ er das Schwert fallen und ging in die Knie. Ein schneller Tritt in die Rippen machte auch diesen Gegner für die nächste Zeit kampfunfähig.
Doch nun wurde es brenzlig. Der zweite Schwertkämpfer, der nach dem Zusammenstoß mit dem Speerträger zu Boden gegangen war, drang von der Seite her auf mich ein und der leicht verletzte Speerträger von vorn. Da beide Angriffe gleichzeitig geführt wurden, hatte ich keine Chance sie beide abzuwehren, oder einen Gegenangriff zu führen. Ich ließ mich zu Boden fallen, rollte nach der Seite weg und schnellte, mich mit den Armen abstoßend, wieder hoch. Nur wenige Zentimeter seitlich vom Speerträger kam ich auf die Beine. Dieser wich leicht zurück und drehte sich mir zu. Zwei kurze schnelle Schläge brachen seine Schlüsselbeine und kraftlos entfiel ihm die Waffe. Nun wurde es meinem letzten Gegner doch mulmig und sein Blick wanderte schnell von mir zu seinen Kumpanen und wieder zurück. Doch ich ließ ihm keine Zeit sich zu besinnen. Mit einer heftigen Schlag-Tritt-Kombination drang ich auf ihn ein, aber so schnell ließ er sich nicht überrumpeln und nur mit Mühe konnte ich dem Schwerthieb, den er zur Gegenwehr führte, ausweichen. Uns gegenseitig fixierend standen wir uns gegenüber. Jeder versuchte zu erkennen, was der andere als nächstes tun würde und wann der nächste Angriff käme. Er hatte immer noch sein Schwert und ich war nach wie vor unbewaffnet. Das gab ihm mehr Selbstvertrauen und ich musste mir genau überlegen, wie ich einer eventuellen Schwertattacke begegnen sollte.
Fast im gleichen Augenblick erfolgten unsere Angriffe. Er machte eine gesprungene Stoßattacke mit dem Schwert und ich hatte mich fallen lassen und mit den Händen nach vorn gedrückt, um ihm mit einem Tritt den Stand zu rauben. Ebenso wie sein Stoß, ging mein Tritt ins Leere, doch ich hatte die Situation schneller wieder unter Kontrolle und rollte mich auf den Bauch, machte eine Hechtrolle nach vorn, schnellte hoch und erwischte ihn genau in dem Augenblick, als er sich wieder zu mir umdrehte. Ein Schlag gegen seinen rechten Unterarm ließ das Schwert davonfliegen. Ein weiterer Schlag gegen sein Kinn ließ die Zähne hart aufeinander schlagen und es riss ihn nach hinten. Doch ich ließ ihm keine Zeit sich zu erholen, ein gedrehter Tritt gegen sein linkes Knie raubte ihm den Stand, und so wie er aufschrie und sich krümmte, hatte dieser auch erheblichen Schaden angerichtet.
Mit einem schnellen Blick überflog ich die Situation. Diese vier Gegner brauchte ich nicht mehr einzurechnen. Drei krümmten sich am Boden vor Schmerz oder versuchten erfolglos, sich aufzurichten. Der vierte, verließ mit hängenden Schultern den Kampfbereich. Mit gebrochenen Schlüsselbeinen war er nicht mehr in der Lage in den Kampf einzugreifen und ich konnte mich dem Haupttrupp zuwenden.
Schnell griff ich mir eins der Schwerter, die meine Gegner eingebüßt hatten und ging langsam, mit einem möglichst grimmigen Gesichtsausdruck auf den Haupttrupp zu. Durch einen lauten Schrei erregte ich ihre Aufmerksamkeit.
Noch neun Gegner standen den vier noch kampffähigen Japanern, die den Eingang zur Schlucht verteidigten, gegenüber. Durch meinen Schrei verunsichert, drehte sich der Großteil der Chinesen um und schaute verblüfft zu mir herüber. Sie hatten nicht erwartet, dass vier der ihren so schnell – oder besser gesagt überhaupt – von einem einzelnen geschlagen werden konnten. Der Anführer der Chinesen überflog die Situation, um sich einen Überblick zu verschaffen und eine Strategie zu entwickeln, doch dazu wollte ich es nicht kommen lassen. Mit ruhigem Schritt auf sie zuschreitend, wiederholte ich meinen auffordernden Schrei. Ohne auf die Rufe des Anführers zu achten, ließ sich einer der noch unverletzten Chinesen zu einem Angriff verleiten. Anscheinend war es einer ihrer besten Kämpfer, denn selbstsicher drang er auf mich ein. Ich blickte ihm fest in die Augen, um die Art und den Zeitpunkt des Schlages zu erkennen. Auch er hatte seinen Blick fest auf meine Augen gerichtet und bemühte sich, durch nichts zu verraten, wie er den Angriff führen würde.
Ein kurzes Zucken seiner Lider und das leichte Schwungholen seines Schwertarmes zeigten mir, wohin der Angriff gerichtet war. Schnell tauchte ich unter dem Hieb, der auf meinen Hals zielte, hindurch, führte meinerseits einen Schwerthieb gegen seinen Oberschenkel und beim Aufrichten gegen seinen Oberarm. Ruhig, als wäre nichts geschehen, ging ich weiter und wiederholte den auffordernden, von einer entsprechenden Geste unterstützten, Schrei. Hinter mir wälzte sich wimmernd, mit stark blutenden Wunden, der soeben geschlagene Gegner. Vor mir wurden die restlichen Angreifer sichtlich unruhig und die den Japanern am nächsten stehenden machten den Fehler, sich umzuschauen. Die vier Japaner, unter ihnen der Daimyo, nutzten diese Situation sofort aus. Zwei der Chinesen wichen mit erheblichen Verletzungen zurück und einer bezahlte es mit dem Leben.
Das war der Augenblick, in dem sie ihren Überfall als gescheitert betrachteten. Doch nun wurde ihnen noch mehr bange. Mit mächtigen Sätzen kamen Wang Lee und Chen Shi Mal auf uns zu gerannt. Die chinesischen Angreifer gaben ihre Sache verloren und suchten ihr Heil in der Flucht.
Mir am nächsten kam ihr Anführer vorüber. Er versuchte mir auszuweichen, doch ich wollte einige Antworten von ihm und stellte mich ihm entgegen. Wütend sein Schwert schwenkend, drang er auf mich ein. Wang Lee schrie irgendetwas, doch ich konnte nicht verstehen was er wollte, hatte aber auch keine Zeit mich umzuschauen. Ich wich dem Angriff aus, griff mit der Linken seinen Schwertarm, schlug mit der rechten, die das Schwert noch hielt, gegen seinen Oberarm und drückte ihn herum. Mit dieser Drehung wollte ich ihn zu Fall bringen, doch ich warf ihn genau in das Schwert eines anderen Chinesen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er seinen Kumpan an und brach mit diesem zusammen.
Es war der gewesen, den ich zuletzt geschlagen hatte. Er hatte sein Schwert mit der Linken aufgenommen, sich mühsam aufgerichtet und war mir, das Bein nachziehend, gefolgt. Wang Lee hatte versucht mich zu warnen, doch ich hatte ihn nicht verstanden, aber glücklicherweise den gegen mich geführten Hieb mit seinem Anführer abgefangen. Der chinesische Anführer war tot und lag auf seinem Kumpan, weshalb sich dieser sicherlich nicht gleich wieder aufrichten würde. Schnell schaute ich mich um, doch es gab nichts mehr zu tun.
Jeweils einen hatten Wang Lee und Chen Shi Mal abgefangen und mit gezielten Schlägen den Garaus gemacht. Die restlichen wurden von den wütenden Japanern unschädlich gemacht. Auch die von mir Verletzten hatten die Japaner schon erreicht und wollten sie töten. Aufgebracht rief ich ihnen zu, sie sollten es lassen, doch sie verstanden mich nicht. Es war auch fraglich, ob sie die Chinesen am Leben gelassen hätten, wenn sie meine Sprache verstanden hätten.
Keiner der Angreifer schien es überlebt zu haben. Erschüttert senkte ich den Blick, doch da fiel er auf den, der unter dem Anführer lag. Er schien noch zu atmen, hatte aber die Augen geschlossen. Ich winkte Wang Lee zu mir heran. Gemeinsam zogen wir den Toten von dem Verletzten herunter. Doch dieser bewegte sich nicht mehr. Er hatte sehr viel Blut verloren und der Angriff hatte ihm den Rest gegeben. Noch während wir ihn untersuchten, hörte er auf zu atmen. Nun gab es anscheinend keinen mehr, den ich fragen konnte, warum sie die Gesandtschaft angegriffen hatten.
Verwirrt stand ich auf und schaute auf meine blutverschmierten Hände. Ein Schauer durchfuhr mich und schnell ging ich zum Wasser und wusch mir die Hände. Während des Kampfes hatte ich nicht darüber nachgedacht, doch nun drückten mich Schuldgefühle fast zu Boden. Ich war verantwortlich, dass viele ihr Leben gelassen hatten. Wenn vielleicht auch nicht von mir direkt, aber durch mein Eingreifen waren Menschen getötet worden. Noch nie war Derartiges in meinem Leben geschehen und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.
Wang Lee, der das spürte, kam zu mir und ging neben mir in die Hocke. Er suchte meinen Blick und fragte:
›Was ist? Fühlst du dich schuldig am Tod dieser Männer?‹
Ich schluckte und nickte zur Bestätigung. Sanft legte er mir seine Hand auf die Schulter.
›Ich denke nicht, dass du einen Grund dazu hast! Wenn ich das richtig gesehen habe, hast du selbst keinen getötet. Du hast sie nur kampfunfähig gemacht, und dass die Japaner sie gleich töten, konntest du doch nicht voraussehen.‹ Fragend schaute er mir weiterhin in die Augen, doch ich war nicht fähig ihm zu antworten.
›Sieh’s mal anders. Hättest du nicht eingegriffen, wären die anderen, die Japaner, gestorben. Außerdem sind schon viele vor deinem Eingreifen von diesen getötet worden.‹
Es tröstete mich nicht wirklich, aber rückgängig konnte ich das Geschehene doch nicht mehr machen, also richtete ich mich auf und nickte Wang Lee dankbar zu.
Wir drehten uns um und überschauten das kleine Schlachtfeld. Chen Shi Mal trat zu uns und wir blickten dem Daimyo, der mit dem anderen hochrangigen Samurai auf uns zukam, entgegen. Beide hatten nur wenige und leichte Verletzungen davongetragen. Als sie uns erreichten, neigte …«
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