Dao

Kapitel 12 – Ärger

Abschnitt 2

Nachdem wir den alten Klosterbereich betreten hatten, blieb der Abt stehen, sah mir in die Augen und sagte:
›Du hast auch gespürt, dass diese Feindschaft nicht vorüber ist? Im Gegenteil, sie ist nun noch stärker und er wird alles daran setzen, dich in irgendeiner Form loszuwerden oder zu strafen. Sei dir dessen bewusst und darauf vorbereitet.‹
›Ja, ich habe gespürt, dass sein Hass nur noch stärker geworden ist, und es ist mir vollkommen klar, dass ich von ihm nichts Gutes erwarten kann. Doch was sollte ich machen? Ich habe wirklich nur versucht, mich zu verteidigen.‹
›Ja, wir alle haben es gesehen und es war auch richtig so. Es mussten ihm einmal seine Grenzen gezeigt werden. Ich würde ihn am liebsten des Klosters verweisen, doch er steht sehr hoch in der Gunst des Kaisers und ohne großen Schaden für das Kloster heraufzubeschwören, kann ich nichts gegen ihn unternehmen. Doch ich hoffe, dass dieser Vorfall allen gezeigt hat, dass er kein geeigneter Abt wäre.‹
Bei diesen Worten schaute er auf die anwesenden Mönche. Alle ohne Ausnahme stimmten mit einem leichten Kopfnicken zu und Han Liang Tian wendete sich noch einmal mir zu.
›Es tut mir leid Xu Shen Po, dass er dich und deine Anwesenheit immer noch nicht respektiert. Ich kann die Gründe seiner Abneigung nicht nachvollziehen und ich denke auch, dass alle anderen dich mittlerweile als ein Mitglied unserer Gemeinschaft ansehen.‹
Er sah wieder in die Runde, und wieder bekam er von allen Seiten nur Zustimmung.
›Ist schon gut. Ich habe das auch nicht anders gesehen‹, sagte ich. ›Aber heute war er besonders aggressiv. So schlimm war es bis jetzt selten. Irgendetwas muss ihm doch mächtig gegen den Strich gegangen sein.‹
Han Liang Tian nickte. ›Das ist auch so! Er war vorher bei mir und hat sich über verschiedene Dinge beschwert. Als wichtigstes Ziel wollte er erreichen, dass die, die zu uns gewechselt haben, wieder zurückkommen und dass wir uns in Zukunft weigern, solche aufzunehmen. Ich habe ihm das und noch einige andere Dinge verwehrt und er hat mich schon recht zornig verlassen.‹ Han Liang Tian strich sich wieder einmal über den kahlgeschorenen Schädel.
›Dass er dann ausgerechnet auf dich treffen musste, war ein sehr unglücklicher Zufall.‹
Han Liang Tian wollte das Gespräch damit schon beenden und sich seiner unterbrochenen Beschäftigung wieder zuwenden, als ihm noch etwas einfiel.
›Übrigens, es war sehr gut, dass du die Jungen weggeschickt hast. Er hätte sich mit Sicherheit ein neues Opfer gesucht, an dem er seinen Zorn ablassen kann. Ich hoffe, sie werden es dir einmal danken.‹
Ich winkte ab. ›Wegen des Dankes habe ich das nicht getan. Ich möchte nur nicht der Grund dafür sein, dass andere Ärger bekommen.‹
›Das wirst du in deinem Leben nicht immer vermeiden können! Finde dich damit ab.‹
Mit diesen Worten verließ er uns und ich begann darüber nachzudenken, ob es wirklich so war. Konnte ich es wirklich nicht vermeiden? Sehr wahrscheinlich nein. Wenn ich so über mein bisheriges Leben nachdachte, dann gab es da viele Begebenheiten, die das bestätigten. Sicher hätte ich das eine oder andere verhindern können, doch oft war es so gewesen, dass ich es für einen verhindert hatte und dafür hatte es aus einem anderen Grund jemanden anderes getroffen.
Ich grübelte immer noch darüber nach, als mich Chen Shi Mal ansprach.
›Weißt du, dass du gerade den Großmeister des Klosters vernichtend geschlagen hast? Und er hatte nicht die geringste Aussicht, den Kampf für sich zu entscheiden. Das nach nur acht Jahren Training ist schon eine erstaunliche Leistung!‹
›Mir lag nichts daran und ich hätte es lieber vermieden!‹
›Das glauben wir dir ja auch‹, fiel nun Wang Lee ein. ›Doch es ändert nichts an der Tatsache, dass es noch keinem vor dir gelungen ist, so schnell diese Stufe der Kampffertigkeit zu erreichen!‹
›Eigentlich müsstest du mittlerweile wissen, dass ich nicht danach trachte, im Vordergrund zu stehen. Ich möchte nur für mich nach Erkenntnis und Können streben, anderen damit helfen und mit meinem Leben und meiner Vergangenheit ins Reine kommen. Ich suche und brauche eine Aufgabe, die mir das Recht gibt, in dieser oder einer anderen Gemeinschaft zu leben.‹ Ich schüttelte kurz und bedauernd den Kopf. ›Ich vermisse das Ziel, für das ich lerne und lebe!‹
Jetzt waren sie sichtlich verlegen. Sie alle hatten mehr oder weniger ihre Ziele und Aufgaben und wenn es nur ihr Dienst als Mönch an Buddha war, doch keiner von ihnen konnte mir konkret meine Aufgabe nennen. Ich wusste das ja und es tat mir schon wieder leid, dass ich sie damit belastet hatte.
›Entschuldigt, das ist mein Problem und ihr könnt daran gar nichts ändern oder mir helfen. Ich wollte euch damit nicht auf die Nerven gehen.‹ Und um abzulenken, wechselte ich schnell das Thema.
›Seit wann ist Mao Lu Peng denn wieder da? Ich habe gar nicht mitbekommen, wann er zurückgekommen ist.‹
Froh über diesen Themawechsel ging Chen Shi Mal gleich darauf ein.
›Gestern spät am Abend ist er eingetroffen und hat gleich all seine Meister oder besser gesagt Hauptleute zusammengerufen, um ihre Berichte zu hören. Er muss dabei getobt haben wie ein unbeherrschtes Kind. Die Zeit am Kaiserhof ist ihm anscheinend gar nicht bekommen. Es gibt welche, die jetzt, wo er wieder da ist, darüber nachdenken, doch wieder das alte Klosterleben aufzunehmen.‹
›Darum habe ich ihn noch nicht mitbekommen.‹
›Ja, und heute Morgen, gleich nach der Morgenandacht, hat er den Abt aufgesucht und ihn dann ziemlich zornig wieder verlassen. Han Liang Tian hat das Gespräch recht kurz gehalten und ihn damit vielleicht noch mehr gegen ihn aufgebracht.‹
›Nun versteh ich das. Ich war nach dem Laufen noch am Wasserbecken eine Runde schwimmen und kam sowieso schon später hier an. Dann hab ich mich auch noch mit den Streithähnen beschäftigt und er hat mich dabei gesehen. Aufgebracht und zornig wie er war, hat er mich mit seinen Schülern gesehen. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.‹
›Doch es zeigt wiederum auch, dass er von den Lehren, die er als Mönch bekommen hat, nicht viel behalten hat oder beherzigt‹, setzte Wang Lee hinzu.
Wir unterhielten uns noch eine Weile über diese Angelegenheit, waren uns aber darüber im Klaren, dass wir nichts ändern und wenig beeinflussen konnten. Die Zeit würde es zeigen und ich hoffte einfach, dass wir uns wenigstens arrangieren konnten.
Doch Mao Lu Peng konnte seinen Groll gegen mich nicht verwinden. Mein Sieg über ihn hatte sicherlich noch mehr dazu beigetragen, und hinter vorgehaltener Hand sprachen alle darüber. Solche Dinge sprachen sich schneller herum als alles andere.
Etwas Gutes hatte es allerdings: die angehenden Kampfmönche sahen die Betmönche nicht mehr so verächtlich an. Wenn ein Betmönch in der Lage war, ihren großen Meister zu schlagen, dann mussten diese doch mehr können als sie dachten. Im Laufe des Sommers wechselten noch einige in den alten Klosterbereich und ließen sich als Novizen aufnehmen. Auch zwei seiner Hauptleute und eine Handvoll der alten Kampfmönche kehrten wieder zum Mönchsleben zurück.
Mao Lu Peng versuchte das mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern, doch da ihm das nicht gelang, verschärfte sich der Konflikt mit Han Liang Tian zusehends. Mao Lu Peng kostete es immer mehr Mühe, den Abt mit Höflichkeit und der ihm zustehenden Ehrerbietung zu behandeln. Dennoch nahm er am normalen Klosterleben teil, denn er wollte ja einmal Abt werden und da durfte er sich dem Dienst an Buddha nicht entziehen. Das fiel ihm sicherlich nicht leicht, und dass er dabei auch noch mir des Öfteren begegnete, verbesserte seine Laune bestimmt nicht.
Ich ging ihm nach Möglichkeit aus dem Weg und wenn ich ihm dennoch begegnete, behandelte ich ihn mit Höflichkeit. Doch jeder konnte bemerken, welche Spannung zwischen uns herrschte und es war nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Zusammenstoß kommen würde.
Kurz vor Herbstbeginn geschah es dann. Lei Cheng und seine Freunde waren hinausgegangen und beobachteten die Kämpfer bei ihrem Training. Neugierig wie Kinder nun einmal sind, wollten sie sehen, was bei diesen anders war und ob sie sich von denen etwas abschauen könnten. Sie hatten das schon des Öfteren gemacht und waren auch bemerkt worden. Doch die Meister und alten Kampfmönche hatten nichts dagegen. Sollten sie doch zuschauen und sich vielleicht auch die eine oder andere Anregung holen. Es gab doch nichts zu verbergen.
Mao Lu Peng gefiel das aber nicht. Als er eines Tages bemerkte, wie Lei Cheng und seine Freunde die Ausbildung einiger Offiziere beobachtete, stauchte er sie zusammen. Er drohte ihnen, dass sie, wenn er sie noch einmal erwischen würde, nicht so einfach davon kommen würden und Lei Cheng machte den Fehler, meinen Namen zu erwähnen. Im Fortgehen drohte er, mir alles zu erzählen und dann würde Mao Lu Peng ja sehen. Das war zu viel. Mao Lu Peng setzte ihnen nach und verpasste Lei Cheng eine gewaltige Ohrfeige. Dieser schlug hin und holte sich an einem nahestehenden Baum noch eine Platzwunde.
Schreiend stoben die Jungs davon. Lei Cheng, der leicht taumelte, wurde von seinen Freunden gestützt und so begegneten sie dem Abt und mir. Wir hatten im kleinen Tempel eine unserer meditativen Übungsstunden abgehalten und waren gerade auf dem Weg zum Quartier des Abtes, wo er mir noch ein altes Schriftstück zu lesen geben wollte, als wir von den verstörten Jungs fast über den Haufen gerannt wurden.
›He, langsam, langsam! Was ist denn mit euch los?‹, rief ich ihnen zu.
Sich dabei gegenseitig ins Wort fallend und wirr durcheinander erzählten sie, was vorgefallen war und ich sah Lei Chengs blutverschmiertes Gesicht. Ein kleines Rinnsal lief aus der Platzwunde über seine Wange und er hatte das Blut und die Tränen des Schmerzes mit seinen Händen im Gesicht verschmiert. Die andere Wange war gerötet und geschwollen vom Schlag, den Mao Lu Peng ihm verpasst hatte.
Nachdem wir mit Nachfragen und beruhigenden Worten endlich herausgefunden hatten, was vorgefallen war, begann langsam Wut in mir aufzusteigen. Warum musste er immer seine schlechte Laune an meinen Freunden auslassen? Wieso mussten es immer die Schwächeren sein?
Ich erhob mich und presste zwischen den Zähnen heraus: ›Das kläre ich jetzt ein für alle Mal!‹
›Nein, das tust du nicht!‹
Die ruhige, aber feste Stimme des Abtes holte mich sofort wieder auf den Boden. Ich war im Zorn und hätte auch so mit Mao Lu Peng gesprochen und dementsprechend gehandelt, doch das wollte Han Liang Tian nicht.
›Wenn du jetzt so, in dieser Stimmung und in der Art, wie du es eben vorhattest, mit Mao Lu Peng verfährst, dann stellst du dich mit ihm auf eine Stufe. Du strafst deine Argumente und Handlungen im selben Moment Lügen und hast kein Recht mehr ihn zurechtzuweisen. Wenn du etwas von mir gelernt hast, dann komme erst einmal zur Ruhe, denke über alles nach und lege dann fest, wie du verfährst.‹
Der Abt richtete sich auf und strich sich mit der Hand über seinen Schädel.
›Doch das hier fällt unter meine Aufgaben und ich werde das auch klären und Mao Lu Peng zur Rede stellen!‹
Han Liang Tian wandte sich zum Gehen, blieb noch einmal kurz stehen, wandte sich um, und sagte zu mir:
›Kümmere du dich um die Jungs und versorge Lei Chengs Wunde. Ich werde dann noch mal bei euch vorbeischauen.‹
Ruhig, aber mit festem Schritt, ging er nun davon. Ich schaute ihm hinterher und dachte über seine Worte nach. Natürlich hatte er recht mit dem, was er gesagt hatte, und eigentlich wusste ich das ja auch, doch es fiel mir immer noch sehr schwer, mich in solchen Situationen unter Kontrolle zu bringen. Han Liang Tian zeigte in solchen Momenten keinerlei Emotionen. Auch wenn vielleicht in seinem Inneren ein Sturm tobte, würde er diesen nie nach außen dringen lassen. Warum war es für mich nur so schwer, diese Emotionen zu kontrollieren? Würde ich das jemals in den Griff bekommen? Ich wollte mich auf alle Fälle bemühen, es zu schaffen!
Bei diesen Gedanken wendete ich mich wieder Lei Cheng zu und sah mir die Wunde noch einmal genau an. Es war nicht weiter schlimm. Eine große Beule zierte nun seinen Kopf und auf der höchsten Stelle dieser Beule war eine kleine Platzwunde. Diese hatte bis vor Kurzem heftig geblutet, doch nun gerann das Blut langsam.
Ich schickte die Jungen zum Koch. Sie sollten diesen um warmes Wasser bitten und mit Lei Cheng dort auf mich warten. Nachdem ich mir einige saubere Stofffetzen besorgt hatte, folgte ich ihnen. Als ich beim Koch ankam, hatte dieser schon ein Topf mit warmem Wasser bereitgestellt und schaute sich Lei Chengs Wunde an.
›Dieser Mao Lu Peng gehört einfach nicht mehr hierher! Bis jetzt hat niemals ein Mönch so die Beherrschung verloren. Und vor allen Dingen aus Gründen, die das niemals rechtfertigen. Der müsste mal richtig übers Knie gelegt werden!‹
Er hörte mich kommen und schaute hoch.
›Aah, Xu Shen Po, ist es nicht eine Schande, was dieser Kerl hier treibt? Warum verpasst du ihm nicht eine richtige Tracht? Er hat es verdient.‹
›Weil das der Abt nicht möchte. Und weil er recht damit hat, es wäre keine Lösung. Han Liang Tian wird das selbst klären. Er ist jetzt bei Mao Lu Peng und ich möchte nicht in dessen Haut stecken.‹
›Geschieht ihm recht! Hoffentlich schmeißt er den Kerl raus.‹
›Das wird wohl nicht gehen, selbst wenn Han Liang Tian das vielleicht möchte. Dazu steht Mao Lu Peng zu hoch in der Gunst des Kaiserhofes.‹
Ich kniete mich bei Lei Cheng nieder und tauchte einen der sauberen Lappen ins warme Wasser.
›So, ich muss jetzt die Wunde mal ein bisschen sauber machen. Da sind noch Rindenreste vom Baum und anderer Schmutz drin.‹
Ich drückte den Lappen aus, sodass er nur leicht feucht war und begann vorsichtig den Schmutz aus der Wunde zu entfernen. Lei Cheng zuckte zusammen, verkniff sich aber jede weitere Regung. Nur zwei, drei Tränen, die über seine Wangen rannen, zeigten, dass es anscheinend ganz schön schmerzte.
›Tut mir leid mein Freund, ich mach schon so vorsichtig wie ich kann. Doch der Schmutz muss raus, sonst entzündet es sich am Ende noch.‹
›Mach nur, es tut nicht sehr weh‹, sagte er mit leicht brüchiger Stimme und strafte damit seine Worte Lügen.
Nachdem ich dann auch noch sein Gesicht gereinigt und mit dem zweiten sauberen Lappen die wieder einsetzende Blutung gestillt hatte, richtete ich mich auf und sagte:
›So, Lei Cheng, jetzt suchst du dir einen schönen, schattigen Fleck und lässt die Wunde trocknen. Ruh dich noch eine Weile aus. Ich schau dann mit Han Liang Tian noch mal vorbei.‹
Lei Cheng bedankte sich und ging, gefolgt von seinen Freunden, in den Klosterbereich der Kinder. Ich sah ihm noch einen Augenblick nach und wollte dann dem Abt entgegengehen, doch in diesem Augenblick sprach mich der Koch noch einmal an.
›Wie soll das bloß weitergehen? Die Willkür dieses Mannes wird immer größer. Wenn er sich jetzt schon an den Kleinen vergreift, dann bekommt ihn bald keiner mehr unter Kontrolle. Hoffentlich erfüllt sich niemals sein Wunsch, denn wenn er Abt werden sollte, ist das das Ende des Klosters.‹
Ich war so in Gedanken gewesen, dass ich gar nicht mehr an den Koch gedacht hatte.
›Ich glaube nicht, dass er sich berechtigte Hoffnungen machen kann. Zum einen ist der Abt zwar alt, doch immer noch sehr rüstig, und wenn nichts Außergewöhnliches geschieht, kann er die Geschicke des Klosters noch einige Jahre leiten. Zum anderen sind die, die einmal den neuen Abt wählen, auch nicht blind und können sich ausmalen, was er für einen Einfluss auf das Klosterleben nehmen wird, wenn er Abt ist.‹
›Stimmt schon. Ich habe schon mit einigen von ihnen geredet, doch keiner kann sagen, ob nicht nach Han Liang Tian der Einfluss von außen größer werden wird. Mao Lu Pengs Vater sitzt in der richtigen Position dafür und beim Kaiser hat Mao Lu Peng inzwischen hohes Ansehen erlangt.‹
›Wir können diese Dinge nur in Gottes, in Buddhas Hand legen und hoffen, dass er das Beste fürs Kloster herbeiführt.‹
›Möge Buddha deine Worte hören‹, sagte der Koch und schaute zum Himmel.
Ich verabschiedete mich von ihm und ging Han Liang Tian entgegen. Die Befürchtung, dass er inzwischen schon an mir vorbeigegangen war, ohne dass ich es bemerkt hatte, bestätigte sich nicht. Als ich mich dem Klostertor näherte, kam er gerade herein. Ich versuchte an seiner Miene zu erkennen, wie das Gespräch verlaufen war, doch Han Liang Tian ließ nichts nach außen dringen. Auch auf meine Fragen bekam ich nur eine ausweichende Antwort. Er sagte mir, dass er es klargestellt hätte und dass es Mao Lu Peng sicherlich nicht noch einmal wagen würde, sich an den Kindern zu vergreifen. Dann erkundigte er sich nach Lei Chengs Befinden.
›Ach, ich denke, es sah im ersten Moment schlimmer aus als es ist. Der Schock über das Verhalten von Mao Lu Peng wird viel schlimmer sein. Dem werden sie so schnell nicht wieder begegnen wollen.‹
›Ich glaube auch nicht, dass Mao Lu Peng diesen Wunsch hegt. Komm, lass uns noch mal zu den Jungen gehen. Ich muss ihnen noch etwas sagen.‹
Ich folgte Han Liang Tian zu den Jungs und grübelte dabei, was er ihnen wohl zu sagen hätte. Doch meine Gedanken gingen in die vollkommen falsche Richtung. Als wir die Gruppe der Jungen erreichten, schaute sich der Abt erst einmal die Wunde an und nickte zufrieden.
›Es sah am Anfang wirklich schlimmer aus als es ist‹, sagte er dann zu mir. Dann wandte er sich Lei Cheng und seinen Freunden zu.
›Lei Cheng, in einiger Zeit wirst du nichts mehr davon sehen außer einer kleinen Narbe, und die sehen auch nur andere‹, sagte er schmunzelnd. ›Doch hört mal. Ich habe jetzt Mao Lu Peng zurechtgewiesen. Er wird euch nicht mehr belästigen und sollte er es dennoch tun möchte ich, dass ihr mich sofort davon in Kenntnis setzt. Mao Lu Peng darf auf meine Anweisung hin diesen Bereich hier, bis auf Widerruf, nicht mehr betreten. Doch auch ihr solltet in Zukunft den Bereich außerhalb des Klosters meiden. Geht nur hinaus, wenn es sein muss und vermeidet es, den neuen Klosterbereich zu betreten. Ich verbiete es euch zwar nicht, doch zu eurem Schutz solltet ihr es so handhaben.‹
Sie nickten und Lei Cheng brachte zum Ausdruck, was alle dachten.
›Ich verspüre nicht den geringsten Wunsch, auch nur in die Nähe dieses Bereiches zu gehen.‹
›Gut, dann sollte das für euch erledigt sein. Ich muss mich nun wieder meinen Aufgaben zuwenden. Xu Shen Po, das versprochene Schriftstück bekommst du morgen, da ich jetzt erst einmal nicht in meine Unterkunft gehe.‹
›Ist jetzt auch nicht so wichtig. Doch nenn mich doch weiter Gü Man, daran hab ich mich gewöhnt. Mit Xu Shen Po komm ich immer noch nicht richtig klar.‹
›Dann gewöhn dich dran! Es ist nun mal dein neuer Name.‹
Mit diesen Worten verließ er mich und die Kinder, und auch ich verabschiedete mich von Lei Cheng und seinen Freunden. Im ersten Moment wusste ich nicht, was ich jetzt am besten machen sollte. Die Geschichte beschäftigte mich immer noch, und ich konnte mich nicht so recht zu irgendetwas durchringen.
Unwillkürlich hatten mich meine Schritte zum Übungsplatz geführt. Dort traf ich Wang Lee, Chen Shi Mal und die anderen unserer kleinen Gruppe. Sie trainierten unseren Boxstil und ich schloss mich ihnen an, doch ich war so unkonzentriert, dass ich das Training nur störte.
Nach ein paar Minuten fragten sie mich, was denn heute mit mir los sei und ich erzählte ihnen, was vorgefallen war. Keiner von ihnen hatte es bemerkt, aber ihre Entrüstung war groß. Wang Lee ging sofort zu den Kindern, denn sie waren ja jetzt auch seine Schützlinge und die anderen unterbrachen ihr Training, um sich mit mir über diesen Zwischenfall zu unterhalten. Keiner billigte Mao Lu Pengs Verhalten und auch die, die immer noch ein wenig Achtung vor dem Großmeister gehabt hatten, waren nun mehr als froh, dass sie nicht mehr unter seiner Führung standen. Das Training war für den Rest des Tages gelaufen und nur durch Meditation konnte ich mein Gleichgewicht einigermaßen wiederfinden.
Am nächsten Morgen, nach den Tai Chi-Übungen, strebte ich dem Klosterausgang zu, um meine Morgenrunde zu laufen, als mir Mao Lu Peng entgegenkam. Das wutverzerrte Gesicht, in das ich blickte, hatte nichts mehr mit den Mönchsgesichtern zu tun, die ich kannte.
›Na, du Schleimer, hat’s einen deiner Schützlinge erwischt, und gleich hast du wieder beim Alten gegen mich intrigiert!‹, fauchte er mir im Vorübergehen zu.
›Bitte was?‹ Verblüfft war ich stehengeblieben und schaute ihm hinterher, doch er blieb nicht stehen und knurrte nur etwas Unverständliches zurück.
Wie kam er denn darauf? Er nahm an, dass ich ihn beim Abt angeschwärzt hatte. Wie sollte ich das nun wieder klarstellen. Er würde sicherlich für nichts empfänglich sein. Sein Hass gegen mich saß so tief, dass ich in jedem Fall bei ihm verspielt hatte. Das Dumme war nur, dass ich aus seinen Worten herausgehört hatte, dass er nun auch alle, die mir näherstanden, in diesen Hass miteinbezog. Wenn mir nur etwas einfallen würde, wie ich diese Situation entschärfen konnte.
Als ich mich am Wasserbecken wusch kam mir ein recht guter Gedanke und beflügelt durch diesen Einfall, kürzte ich meine Morgentoilette ab. Ich wollte so schnell wie möglich mit Han Liang Tian und Wang Lee darüber sprechen. Der Erste, dem ich begegnete, war der Abt, der von der Morgenandacht seinem Quartier zustrebte.
›Ah, Xu Shen Po, willst du dir die Schriftrolle holen, oder was hast du sonst auf dem Herzen?‹
Gab es denn keine Geheimnisse vor ihm? Hatte er denn schon wieder erkannt, dass ich Probleme hatte?
›Ja, Han Liang Tian, ich würde gerne einige Dinge mit dir besprechen.‹ Als ich sah, wie er die Augenbrauen hob, fügte ich schnell hinzu: ›Es dauert auch nicht lange. Eigentlich möchte ich nur den Segen zu einer Entscheidung von dir erbitten.‹
›Na, dann komm mal mit zu mir.‹
Ich ging mit dem Abt in seine Unterkunft, und aus den Augenwinkeln konnte ich dabei sehen, dass Mao Lu Peng das dummerweise auch wieder beobachtet hatte. Doch das bestärkte mich nur in meinem Entschluss, weshalb ich, als wir das Quartier des Abtes betreten hatten, auch gleich zur Sache kam.
›Ich möchte das Kloster für eine Weile verlassen. Ich denke, es ist besser, wenn ich Mao Lu Peng eine Zeitlang nicht unter die Augen komme. Alle, die mir näherstehen, sind nun in sein Blickfeld gekommen und müssen am Ende nur darunter leiden. Das möchte ich nicht. Und deshalb halte ich das eben jetzt für einen guten Gedanken.‹
Nachdenklich sah mich der Abt an. ›Wo willst du denn hin?‹
›Ich dachte, dass ich wenigstens den Winter über nach Wudang gehe. Dort bin ich bekannt und ich denke, ich werde auch willkommen sein.‹
›Nach Wudang?‹ Nachdenklich strich er sich über den Schädel. ›Ich glaube zwar nicht, dass das unser Problem in irgendeiner Form löst, aber wenn du es möchtest und für gut befindest, dann habe ich nichts dagegen. Doch sei dir darüber im Klaren, dass du eine Lösung nur hinausschiebst.‹
›Aber was soll ich denn sonst machen?‹
›Das kann ich dir auch nicht sagen, doch ich möchte gerne wissen, wie du zu diesem plötzlichen Entschluss gekommen bist.‹
Ich erzählte ihm von meinem Zusammentreffen mit Mao Lu Peng und was er mir zugefaucht hatte. Der Abt schüttelte den Kopf und sagte:
›Dieser Hass geht zu weit! Eigentlich müsste Mao Lu Peng die Mönchskutte entzogen werden. Er hat diese Ehre nicht mehr verdient, doch leider ist sein Einfluss mittlerweile so groß, dass ich das nicht mehr tun kann, ohne dem Kloster sehr zu schaden.‹
Der Abt ging einige Male hin und her. Dabei strich er sich immer wieder nachdenklich über den Kopf.
›Vielleicht ist dein Gedanke doch nicht so verkehrt. Wenn du nicht da bist, und er nicht ständig an seinen Hass erinnert wird, kann ich vielleicht das eine oder andere erreichen, um seine Macht einzuschränken.‹
Han Liang Tian blieb stehen und schaute hoch.
›Unternimm deine Reise, meinen Segen hast du. Wen willst du mitnehmen?‹
Diese Frage hatte ich nun nicht erwartet. ›Eigentlich gar keinen. Ich kenne den Weg und erwarte von keinem, dass er wegen mir das Kloster, wenn auch nur für kurze Zeit, verlässt.‹
›Ich glaube, Wang Lee wird es sich nicht nehmen lassen, dich zu begleiten. Seine Freundschaft zu dir ist sehr groß und ich denke, es gibt nur wenige Dinge, die ihn davon abhalten können.‹
›Doch gerade deswegen möchte ich das nicht ausnutzen. Er hat jetzt seine Aufgabe bei den Kindern, und das macht ihm auch sehr viel Freude. Wang Lee mag die Jungen und freut sich über jeden noch so kleinen Fortschritt, den sie unter seiner Anleitung machen.‹
›Ich weiß, und durch seine Art ist er einer der Besten für diese Aufgabe. Ich würde ihn auch ungern gehen lassen.‹
›Wenn ich ihm das so sagen darf, kann ich ihn bestimmt davon überzeugen, dass es das Beste für den Augenblick ist.‹
›Versuche es. Aber willst du wirklich allein reisen?‹
›Warum nicht? Verständigen kann ich mich mittlerweile, den Weg kenne ich und das Wetter ist auch noch recht gut. Bevor der Winter beginnt, müsste ich dort sein.‹
Wir einigten uns darauf, dass ich auch nicht lange zögern und schon am nächsten Tag die Reise antreten würde. Es gab nichts, was ich hier noch zu tun hatte und weshalb ich die Abreise hinauszögern musste. Ich verabschiedete mich vom Abt und suchte die anderen, um sie von meinem Entschluss in Kenntnis zu setzen.
Sie waren nicht begeistert von meiner Absicht, doch nachdem wir eine Weile darüber gesprochen und ich ihnen auch noch sagte, dass der Abt mir seinen Segen für diese Reise gegeben hatte, gaben sie es auf, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Wang Lee fiel es besonders schwer und ich musste alles an Argumenten aufbieten, was ich konnte, um seine Meinung zu ändern. Als er es schließlich akzeptierte, wollte er mich aber begleiten und geriet in den nächsten Zwiespalt. Die Arbeit mit den Kindern war ihm wirklich ans Herz gewachsen und er war hin und her gerissen zwischen mir und ihnen. Als ich ihm aber sagte, dass der Abt seine Arbeit mit den Kindern sehr zu schätzen wusste und ihn ungern gehen lassen würde, konnte ich ihn vom Bleiben überzeugen.
Chen Shi Mal hatte während dieser Zeit schweigend dagesessen und überraschte mich dann damit, dass er gerne mitkommen würde. Er hatte seine Hauptaufgabe verloren, als er zurück ins alte Klosterleben gewechselt war und fühlte sich nun ein wenig überflüssig. Es gab zwar wieder einige, die im alten Klosterbereich trainierten, doch bei Weitem nicht so intensiv wie die Kampfmönche und es waren auch genügend Lehrer da, die diese trainieren konnten. Er war nicht mit der Art und Weise einverstanden, in der jetzt die neuen Kampfmönche unterrichtet wurden, doch so richtig zum Betmönch berufen fühlte er sich auch nicht. So wie ihm ging es den meisten, die wieder ins alte Klosterleben zurückgewechselt hatten. Es würde sicherlich auch noch lange dauern, bis sich das wieder eingepegelt hatte.
Nach einigem hin und her stimmte ich schließlich zu. Da ich Chen Shi Mals freundliche Art schätzen gelernt hatte und auch wusste, dass er allem Neuen aufgeschlossen gegenüberstand, freute ich mich am Ende sogar über diese Begleitung. Es würde ihm sicherlich nicht schaden, und da er unseren neuen Boxstil schon voll angenommen hatte, wäre es bestimmt nicht schlecht für ihn, den klassischen Wudang-Boxstil kennenzulernen.
Wang Lee und ich hatten zwar schon versucht, ihm das eine oder andere zu zeigen, doch wir waren ja auch schon geprägt vom klassischen Shaolin-Boxstil und unserem Mischmasch. Somit waren unsere Vorführungen auch nicht korrekt. Es war beschlossene Sache und wir machten uns an die Vorbereitungen.«

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