Dao

Kapitel 12 – Ärger

Abschnitt 1

»An einem der letzten Frühlingstage, die Morgensonne hatte mich beim Laufen schon ganz schön zum Schwitzen gebracht, stieß ich vor dem Kloster auf ein Gruppe streitender Kampfmönche. Sie waren bestimmt noch keine zwanzig Jahre alt und ihre Ausbildung würde noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Als ich bei ihnen ankam, wollten sie gerade mit Fäusten aufeinander losgehen und ich fuhr dazwischen. Beinahe hätten ihre Schläge mich getroffen, doch den einen wehrte ich ab und dem anderen wich ich aus. Erschrocken traten sie zurück.
›Was ist los? Das Training reicht euch wohl nicht?‹
Nach einem kleinen Augenblick, in dem sie sich auf die neue Situation einstellten, antwortete der Mutigste von ihnen:
›Es ist nichts weiter, wir hatten nur eine Meinungsverschiedenheit. Aber ich denke, wir haben das jetzt schon geklärt.‹
Bei diesen Worten zwinkerte er seinem Streitpartner zu.
Ich lachte kurz auf. ›Da seid ihr euch wieder einig was? Aber vor einer Minute hättet ihr euch am liebsten gegenseitig den Schädel eingeschlagen.‹
Ich schüttelte bedauernd den Kopf. ›Es ist schade, dass ihr nur das Kämpfen gelehrt bekommt. Demut und Buddhas Lehren wären wichtig für euch, doch so werdet ihr nur halb so gut sein, als ihr es sein könntet.‹
Ich wollte mich abwenden und gehen, doch beim Umdrehen fiel mein Blick auf ihre zornigen Gesichter. Ich hatte sie mit meinen Worten beleidigt. Ich, der Fremde, wie konnte ich es wagen! Sie, als angehende Kampfmönche, waren mir doch jetzt schon zehnmal überlegen!
Ich konnte diese Gedanken deutlich spüren. Sie waren so zornig, dass ich sie fast wie gesprochene Worte hörte. Und auch den Grund für ihren Streit bekam ich dadurch mit. Der eine ärgerte sich darüber, dass sein Gruppenkamerad einige Übungen einfach nicht richtig beherrschen konnte und dadurch den Unmut eines Meisters hervorgerufen hatte. Nun mussten sie gemeinsam zusätzliche Übungsstunden abhalten, damit er es endlich lernte. Doch der andere hatte auch seine Gründe sich zu ärgern, denn sein Streitpartner konnte einfach nicht zuverlässig und pünktlich sein. Beide hatten aus ihrer Sicht gute Gründe, sich über den anderen zu ärgern, und da dieser Konflikt schon länger schwelte, waren sie nun aneinandergeraten.
Als ich diese Gedanken spürte, entschloss ich mich, nun doch einen Versuch der Schlichtung zu unternehmen.
›Es ist schon seltsam, wie schnell ihr euch wieder einig seid, wenn sich so ein dummer Betmönch erdreistet dazwischenzugehen.‹
Eigentlich war ich ja gar kein Mönch, doch sie nahmen es an und da es dem Abt ganz recht war, dass alle das dachten, stellte ich es auch nicht richtig.
›Das zeigt euch doch, dass ihr gar nicht so verschieden seid. Im Grunde genommen habt ihr die gleiche Denkweise, nur eure Anlagen und Eigenschaften unterscheiden sich in einigen Dingen. Ihr schleppt den Ärger über den anderen schon lange mit euch rum, doch keiner hat es jemals ausgesprochen. Nun eskaliert das Ganze. Dabei wäre es doch so einfach, alles zu vermeiden!‹
Ich zeigte auf den einen. ›Du ärgerst dich über ihn, weil er es nicht schafft, einige Übungen zur Zufriedenheit eurer Lehrer auszuführen. Nun müsst ihr zusätzliche Übungsstunden absolvieren, um es gemeinsam zu lernen. Du weißt schon länger, dass er Probleme damit hat, und du hast auch erkannt, was er falsch macht. Warum hast du ihm noch nie geholfen und ihm gesagt oder gezeigt, wie er es besser machen könnte? Ihr hättet euch den ganzen Ärger ersparen können. Er hätte es vielleicht nicht sehr schnell, aber dennoch nebenbei erlernen können. Nun hat euer Meister genau das angeregt. Er will euch nicht bestrafen, sondern euch nur dahin bringen, dass ihr euch gegenseitig unterstützt. Gemeinsam seid ihr stark und könnt alle Schwierigkeiten meistern. Alleine werdet ihr scheitern.‹
Mit weit aufgerissenen Augen sahen sie mich an. Woher wusste ich das alles? Hatte ich sie belauscht? Gab es einen, der sie verpfiffen hatte?
›Macht euch keine Gedanken, woher ich das weiß. Ich brauche doch nur in eure Gesichter zu schauen und schon ist alles klar.‹ Nun deutete ich auf den anderen. ›Warum hast du ihn niemals um Hilfe gebeten? Dir ist doch klar, dass er es kann und auch, dass er dir helfen könnte? Ist es so schwer, eine Unzulänglichkeit zuzugeben und einen anderen um Hilfe zu bitten? Außerdem ärgerst du dich über ihn, weil er ständig unpünktlich ist und weil seine Unzuverlässigkeit euch schon öfter Ärger eingebracht hat. Warum sagst du es ihm nicht? Warum frisst du das in dich rein, schimpfst hinter seinem Rücken über ihn, doch wenn ihr zusammen seid, schweigst du?‹
Das Ganze wurde ihnen immer unheimlicher. Konnte ich ihre Gedanken lesen, fragten sie sich. Ja ich konnte es, da sie so intensiv, ungehemmt und laut waren. Doch ich konnte – oder besser gesagt wollte – es ihnen nicht sagen.
›Wie wäre es denn, wenn ihr mal versucht, zusammenzuarbeiten. Wenn ihr euch gegenseitig sagt, was euch am anderen stört und was er ändern sollte. Es wird sicher nicht immer gleich funktionieren und es wird auch nicht immer auf Verständnis stoßen, doch wenn ihr euch dann bemüht, erst einmal in Ruhe darüber nachzudenken und versucht es zu verstehen, wird euch vieles leichterfallen. Versetzt euch in den anderen hinein, versucht zu denken wie er und ihr werdet sehen, dass es viel leichter gehen wird. Helft euch gegenseitig, auch damit wird das Verständnis für einander wachsen.‹
Nach dieser Standpauke wollte ich mich abwenden und gehen, doch da kam mir noch ein Gedanke.
›Schaut mal, es wird doch immer etwas geben, über das man sich bei jemandem ärgert mit dem man ständig zusammen ist. Doch warum ist das denn so?‹ Ich machte eine kurze Pause und sah in ihre verblüfften Gesichter. ›Ganz einfach, er macht etwas anders, als ihr es machen würdet. Seine Denkweise ist nicht die gleiche wie eure eigene. Manchmal ist es auch nur Bequemlichkeit. Es ist doch viel einfacher, wenn man den für die eigenen Bedürfnisse bequemsten Weg geht. Natürlich kann es da sein, dass man damit Unmut hervorruft. Doch bevor ihr euch dann aufregt oder wie jetzt aggressiv reagiert, denkt einmal darüber nach, ob nicht euer Gegenüber auch Grund hat, sich über euch zu ärgern. Sucht nach Möglichkeit immer erst bei euch das Problem, oder denkt darüber nach, was ihr für Fehler habt. Kritisiert nach Möglichkeit nur Dinge am anderen, die ihr selbst besser macht oder Fehler, die ihr nicht macht. Es wird nicht immer einfach sein, doch ihr werdet zu erstaunlichen Ergebnissen kommen.‹
Ich sah in ihre immer noch erstaunten, aber mittlerweile auch nachdenklichen Gesichter.
Wo nahm ich denn auf einmal solche Erkenntnisse und Lehrreden her? Machte ich es selbst immer so? Handelte ich so, wie ich es ihnen angeraten hatte?
Nein ich glaube nicht!, dachte ich. Ich mache doch auch immer wieder …
›Was ist denn hier los?‹
Diese Stimme ließ mich zusammenfahren. Ich drehte mich um und schaute in das wutverzerrte Gesicht von Mao Lu Peng. Diesen hatte ich nun gar nicht erwartet. Wo kam der denn auf einmal her? Gestern war er noch nicht da gewesen.
›Aah, unser Gast ist ja wieder da!‹, knurrte er. ›Ich hatte gehofft, dass wir dich nun endlich los sind. Als ich zum Kaiser gerufen wurde, warst du nirgends auffindbar, und jetzt komm ich wieder und einer der ersten, der mir über den Weg läuft, bist du. Was hast du immer noch hier zu suchen und was gehen dich meine Schüler an?‹
Ich sah den Zorn in seinen Augen und fühlte, dass er sich sehr zusammenreißen musste, mir nicht gleich ins Gesicht zu springen. Irgendetwas schien ihn vor unserer Begegnung schon mächtig auf den Magen geschlagen zu haben.
Ich hatte keine Lust, mich mit ihm anzulegen. Nicht, dass ich Angst vor ihm hatte. Nein, das war mal gewesen, doch ich wollte keinen Zwist hervorrufen und vielleicht konnte ich ihn besänftigen, wenn ich mich klein machte und unter ihn stellte.
Ich hob meine rechte Hand senkrecht vor die Brust zum Gruß und sagte:
›Sei mir gegrüßt Mao Lu Peng. Ich wusste nicht, dass der Großmeister wieder im Kloster weilt. Deine Schüler werden sich freuen, dass du wieder für sie da bist.‹
Ich hatte das in einem möglichst unterwürfigen Ton und mit ausgesuchter Höflichkeit gesagt. Im ersten Augenblick schien es zu wirken, doch er war zu lange am Kaiserhof und unter Höflingen gewesen, um sich auf diese Art einlullen zu lassen.
›Lass diese Schmeicheleien, du Schmarotzer! Du hast hier nichts verloren und ich hatte dich gefragt, was dich meine Schüler angehen!‹
Das war nun wirklich beleidigend. Mein Gesicht wollte ich nicht ganz verlieren, doch um des Friedens willen machte ich noch einen Versuch.
›Ich hatte nur versucht einen Streit zu schlichten, doch wenn ich gewusst hätte, dass du dich wieder im Kloster befindest, hätte ich es natürlich deiner Verantwortung überlassen.‹
›Ja, das glaub ich gerne. Den Schwanz einziehen und wie ein geprügelter Hund unter den Schutz des Abtes kriechen, das ist deine Art.‹
Nun wurde es wirklich langsam zu viel. Alles konnte ich mir doch nicht von ihm gefallen lassen. Dann sah ich auch noch aus den Augenwinkeln, wie zwei Mönche vom Tor in Richtung von Han Liang Tians Unterkunft davonrannten. Wenn er jetzt käme und wieder schlichtend eingreifen müsste, dann hätte ich ein für alle Mal verspielt. Vielleicht konnte ich den Konflikt ja noch lösen, bevor er kam.
›Es tut mir leid, wenn du das so siehst. Ich bemühe mich nur, mich so gut es geht anzugleichen, keinem zur Last zu fallen und allen anderen mit Respekt zu begegnen.‹
›Ja, ja und schön kleinlaut kuschen, weil du weißt, dass dir jeder hier haushoch überlegen ist.‹
Mit einem aggressiven Blick musterte er mich und er wirkte wie ein Panther vor dem Sprung. Gebannt folgten die angehenden Kampfmönche dieser Auseinandersetzung und wenn ich nun kuschte, hätte ich bei diesen mit Sicherheit verspielt.
›Wenn du meinst, dass es so ist, dann will ich nur lieber gehen bevor mir etwas zustößt‹, sagte ich zweideutig.
›Nicht kneifen, du Feigling! Das wird jetzt und hier geklärt! Und ich hoffe, dass wir dich dann ein für alle Mal los sind!‹
Ich schaute hoch, und dabei fiel mein Blick aufs Klostertor. Dort stand der Abt mit Wang Lee, Chen Shi Mal und noch einigen anderen Mönchen. Ich dachte nur: Oh, nein bitte nicht!
›Nein, ich werde auch nicht eingreifen, wenn du es nicht ausdrücklich willst. Ich habe bemerkt, dass du versucht hast die Situation zu retten, doch du musst dir nicht alles gefallen lassen. Vielleicht ist es auch gut so, wenn er einmal seine Grenzen gezeigt bekommt.‹
Das hatte ich nun gar nicht erwartet. Ich hatte eher vermutet, dass er versuchen würde, eine Konfrontation zu verhindern. Doch er ließ mir die Wahl und was noch viel erstaunlicher für mich war, er traute mir zu, Mao Lu Peng eine Lektion zu erteilen. Gut, ich hatte einiges hinzugelernt seit unserem letzten Zusammentreffen, doch ich hatte ihn immer noch als den überragenden Kämpfer in Erinnerung.
›Was erwartest du von mir, Mao Lu Peng? Soll ich das Lügen strafen, was ich deinen Schülern gerade gesagt habe?‹
›Und das wäre?‹, fauchte er zurück.
›Ich habe ihnen gerade erklärt, dass man Meinungsverschiedenheiten auch anders lösen kann. Man sollte immer zuerst schauen, ob man nicht selbst Fehler macht und versuchen, solche Konflikte friedlich zu lösen.‹
›Willst du damit sagen, dass ich Fehler mache!‹, brüllte er nun noch wütender.
Puuh, er hatte sich ja noch mehr zum Negativen verändert, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte.
›Nein, will ich nicht. Ich dachte nur, dass vielleicht das eine oder andere, was du mir vorwirfst, zutrifft und dass ich versuchen sollte, aus diesen Fehlern zu lernen.‹
›Das eine oder andere, ich würde sagen alles! Ich habe am Kaiserhof solche wie dich kennengelernt. Sie kommen von weit her mit großen Schiffen übers Meer. Sie sind arrogant, selbstherrlich, wollen uns ihren Glauben und ihre Lebensweise aufdrängen und schleimen sich am Kaiserhof ein.‹
Er hatte Europäer kennengelernt. Es waren Europäer am Kaiserhof? Ob ich durch sie näheres über das erfahren konnte, was mich hierher verschlagen hatte?
Doch das war erst mal Nebensache. Im Moment hatte ich andere Probleme. Mao Lu Peng riss sich seine Mönchskleidung herunter und spielte mit seinen Muskeln.
›Als wir uns das letzte Mal begegnet sind, hat dich nur der Abt vor einer lehrreichen Tracht bewahrt. Wir wollen doch mal sehen, ob du seitdem dazu gelernt hast.‹
Er warf seine Kleidung einem der Schüler zu und rief:
›Komm her und hol dir deine Tracht ab!‹
Der, dem er die Kutte zugeworfen hatte, wollte ihn darauf aufmerksam machen, dass der Abt am Tor stand, doch Mao Lu Peng verstand es falsch und knurrte ihn nur an:
›Häng dich nicht in Dinge rein, die dich nichts angehen. Wir werden uns später noch darüber unterhalten.‹
Der Schüler wollte es klarstellen, doch Mao Lu Peng fuhr ihn nur aggressiv an:
›Du kriegst deine Lektion schon noch! Wart’s doch ab!‹
Dann schaute er wieder zu mir. ›Und du, komm endlich her, du Feigling!‹
Huii, was war dem denn über die Leber gelaufen? War das nur wegen mir? Mit dem konnte ich im Augenblick mit Sicherheit nichts im Guten regeln.
›Warum sollte ich? Ich habe kein Problem mit dir.‹
›Dann eben so!‹, stieß er hasserfüllt zwischen den Zähnen hervor.
Im selben Augenblick drang er auf mich ein und attackierte mich mit einem Hagel von Faust- und Ellenbogenschlägen. Nachdem ich in Wudang gelernt hatte, mich an den Stil anderer anzupassen und ihn am Ende gegen sie zu verwenden, fiel es mir aber nicht mehr schwer, diese Schläge alle abzuwehren. Es schien ganz schön frustrierend für Mao Lu Peng zu sein, dass nicht ein Schlag durchkam.
›Gut, gut, hast anscheinend doch dazugelernt. Doch das wird dir nun auch nicht mehr helfen.‹
Er täuschte einen Schlag mit der gestreckten Rechten an, um meine Deckung im unteren Körperbereich zu schwächen und setzte fast gleichzeitig zu einem Tritt mit dem rechten Bein an. Dieser war auf mein linkes Knie gerichtet und er hätte es mit Sicherheit gebrochen, doch da ich den klassischen Shaolin-Stil kannte und auf seine aggressive Angriffsart vorbereit war, verkehrte ich diesen Angriff ins Gegenteil. Ich drehte mich auf dem linken Fuß seitlich weg, schlug mit meiner Rechten Mao Lu Pengs Rechte nach oben weg und nutzte gleichzeitig die Kraft, die er in seinen Tritt gesteckt hatte, um mit meinem rechten Fuß seinen Tritt abzuwehren. Damit raubte ich ihm den Stand. Mit einem dumpfen Krachen schlug er auf dem Boden auf. Er hatte nicht im Mindesten damit gerechnet, dass ich ihm in dieser Weise gewachsen war. Deshalb war er auch für einen Augenblick fassungslos.
Doch das währte nur kurz. Im nächsten Moment war er mit einem zornigen Aufschrei wieder auf den Beinen und drang mit einer wütenden Attacke auf mich ein. Ruhig und entspannt sah ich diesem Angriff entgegen und nichts deutete darauf hin, wie ich mich wehren würde. Als sein Angriff kam, parierte ich jeden Schlag, als ob ich schon im Voraus gewusst hätte, wohin er gehen würde. Einen besonders heftig geführten Schlag nutzte ich zu einem Gegenangriff. Durch die Kraft, die er in diese Attacke – die er mit den Fingerspitzen in meine Lebergegend führen wollte – steckte, entstand eine kleine Pause in der schnellen Abfolge der Schläge. Ich wich diesem Schlag seitlich aus und schlug gleichzeitig mit der Rechten von oben herab auf seinen Oberarm. Ein heftiges Aufstöhnen sagte mir, dass die Wirkung meinen Wünschen entsprechend ausgefallen war. Er war auf so etwas nicht im Mindesten gefasst gewesen und hielt mich immer noch für den unbedarften Anfänger von einst. Sein Arm sackte kraftlos herunter und es würde eine Weile dauern, bis er ihn wieder einsetzen konnte. Doch ich hatte den Angriff nicht nur darauf beschränkt. Gleichzeitig hatte ich eine halbe Drehung ausgeführt, mich heruntergebeugt und mit dem rechten Fuß nach hinten ausgeschlagen. Hart traf ich seine Brust, die in diesem Moment ohne Deckung war. Es muss ihm vorgekommen sein wie der Tritt eines Pferdes. Die Wucht riss ihn von den Beinen, und sich überschlagend landete er wieder auf dem Boden.
Es dauerte einen Moment, bis er sich gefasst hatte und erneut angriff. Diese kurze Zeitspanne werteten Han Liang Tian und die anderen als Ende des Kampfes und kamen näher. Doch Mao Lu Peng, der sie in seiner jetzigen Lage nicht bemerkte, stürmte wieder auf mich ein. Sein rechter Arm wirkte immer noch recht kraftlos und er konnte ihn nur leicht heben, um seinen Unterkörper zu schützen. Doch das hinderte ihn nicht daran, mit einem Sprung auf mich einzudringen. Das war ein grober Fehler, den nicht einmal seine Schüler gemacht hätten. Ich war nicht im Geringsten angeschlagen und konnte so einem Angriff jederzeit ausweichen oder ihn parieren. Es war mir einfach zu dumm, das auszunutzen und ich wich ihm deshalb einfach nur aus, woraufhin er wieder im Staub landete. Diesmal hatte er sich abfangen können und war sofort wieder auf den Beinen. Blind vor Wut, sodass er nicht einmal bemerkte, dass Han Liang Tian und die anderen mittlerweile da waren, stürmte er wieder auf mich ein. Die schnelle Folge seiner Schläge und Tritte sollte mich zermürben, doch ich beschränkte mich darauf, mich nur zu verteidigen und ihn zu ermüden. Nach einer Weile gelang es Mao Lu Peng auch wieder, seinen rechten Arm einzusetzen, doch die Schläge waren bei Weitem nicht so kraftvoll und zielgenau wie am Anfang.
Ich überließ meinem Chi die Führung, wich aus, konterte, wehrte ab und musste auch ab und an einen Schlag einstecken. Doch darauf war ich in diesen Augenblicken vorbereitet. Ich machte die Haut hart und spannte die Muskeln in diesen Bereichen an. Weswegen sich die Folgeschmerzen in Grenzen hielten.
Chen Shi Mal konnte es sich nicht verkneifen, zu Wang Lee zu sagen: ›Er spielt ja nur mit ihm. Der Kampf könnte schon lange entschieden sein.‹
Ich wartete auf eine Reaktion, doch Mao Lu Peng schien sie immer noch nicht zu bemerken und auch die anderen schienen es nicht gehört zu haben. Doch wenn ich es mir recht überlegte, hatte er es richtig erkannt. Ich begann mich für dieses Verhalten zu schämen und entschloss mich, diesen Kampf zu beenden.
In diesem Augenblick folgte ein harter Schlag seiner Linken in meine Magengrube. Ich spannte alle Bauchmuskeln an und es war für ihn, als hätte er auf eine Mauer geschlagen. Ein leises Aufstöhnen und sein schmerzverzerrtes Gesicht sagten alles. Ich nutzte seine offene Deckung und meine rechte Hand schoss nach vorn. Dabei presste ich geräuschvoll die Luft aus den Lungen. Ich hatte die Hand senkrecht gestellt, die Finger leicht angewinkelt und traf mit dem Handballen hart auf sein Brustbein. Mit einem dumpfen ›Uuhhh‹ entwich alle Luft aus seinen Lungen und er flog gut zwei Meter nach hinten. Er war zum dritten Mal auf dem Boden gelandet und brauchte diesmal erheblich länger, um sich aufzurichten.
Um Frieden zu schließen ging ich auf ihn zu, bot ihm die Hand als Hilfe beim Aufstehen und wollte ihn hochziehen. Doch ich hatte seinen Stolz verletzt, hatte ihn vor seinen Schülern gedemütigt. Das konnte er nicht verwinden. Er rollte sich zur Seite, kam dabei auf die Beine und wollte meine jetzige Haltung zu einem Angriff nutzen. Aus einer Drehung heraus trat er mit dem rechten Fuß nach meinem Kopf, doch ich wich diesem Tritt aus und passte mich seiner Bewegung an wie einer Welle. Gleichzeitig hatte ich mich heruntergebeugt und einen Schlag gegen den Oberschenkel seines Standbeines geführt. Mit ein bischen mehr Kraft hätte ich den Oberschenkelknochen brechen können, doch ich beschränkte mich darauf, ihn erneut auf den Boden zu befördern. Diesmal fiel sein Schmerzenslaut lauter aus und mit weit aufgerissenen Augen starrte er mich an. Blitzschnell war ich bei ihm und deutete einen Tritt nach seinem Kehlkopf an. Dieser, richtig geführt, hätte seinem Leben ein Ende gesetzt, doch wenige Millimeter vor seinem Hals stoppte ich die Bewegung. Einen Augenblick verharrte ich in dieser Position, dann nahm ich den Fuß weg und bot ihm erneut die Hand zum Aufstehen. Ich wollte ihm damit zeigen, dass es von meiner Seite nichts Persönliches gab, das zwischen uns stand und dass ich gerne Frieden schließen würde, doch sein verletzter Stolz hinderte ihn daran. Mit einem zornigen Gesichtsausdruck wollte er sich wieder auf mich stürzen, doch diesmal griff Han Liang Tian ein.
›Es ist genug, Mao Lu Peng!‹
Erschrocken wandte sich Mao Lu Peng in die Richtung der Stimme. Erst jetzt bemerkte er den Abt und die Gruppe der Mönche um ihn. Im ersten Moment wusste er nicht, wie er sich verhalten sollte und sein Blick wanderte abschätzend von einem zum anderen.
Dieser Augenblick gab mir Gelegenheit, mich an die jungen Kampfmönche zu wenden.
›Verschwindet schnell! Wenn er euch noch hier bemerkt, lässt er seinen ganzen Zorn an euch aus!‹
Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Dankbar nickten sie mir zu, und schnell und leise stoben sie davon, ohne dass er es bemerkte.
Er war voll und ganz auf mich konzentriert gewesen und die jetzige Demütigung, weil es nun auch noch der Abt und andere gesehen hatten, machte ihn unfähig zu einer sinnvollen Reaktion.
›Er bietet dir die Hand, Mao Lu Peng. Warum nimmst du sie nicht?‹
Alles in Mao Lu Pengs Gesicht zeigte Widerwillen und die einzige Reaktion auf die Frage des Abtes war eine Gegenfrage.
›Was hat er immer noch hier zu suchen? Er ist kein Mönch.‹
›Deine Schüler sind auch keine Mönche und doch wird unser Name von ihnen missbraucht. Xu Shen Po ist mehr Mönch als diese und streng genommen hätten wir nun einen neuen Großmeister.‹
Daran hatte noch gar keiner gedacht und mit weit aufgerissenen Augen warteten sie, was nun geschehen würde.
›Doch da er dem Mönchsorden nicht angehört würde ich sagen, dass alles beim Alten bleibt. Aber ich erwarte, dass er fortan auch von dir mit dem nötigen Respekt behandelt wird!‹
Mao Lu Peng hatte einen Gesichtsausdruck, der nicht zu beschreiben war. Auf der einen Seite war er immer noch voller Zorn, auf der anderen war er über die Worte des Abtes erschrocken und fühlte sich gedemütigt.
Das einzige, was er im ersten Moment hervorbrachte war: ›Xu Shen Po?‹
›Ja, Xu Shen Po ist der Meistername, der ihm verliehen wurde. Und wenn ich mich nicht täusche, hast du erkennen müssen, dass er einer ist.‹
Der Widerwille in Mao Lu Pengs Gesichtszügen war unbeschreiblich.
›Er hat mich in der Öffentlichkeit gedemütigt und lächerlich gemacht!‹
Das erinnerte ihn daran, dass ja noch mehr hier gewesen waren und schnell schaute er sich um, doch außer der Gruppe um dem Abt und mir hatten sich alle, die das mit angesehen hatten, schnell verzogen. Dass er keine weiteren Personen sah, beruhigte ihn, doch deswegen konnte er dennoch keinen Frieden mit mir schließen. Er würde immer mein Feind sein und sein Hass gegen mich war nun nur noch um ein Vielfaches gewachsen.
›Hat er dich herausgefordert? Hat er dich beleidigt? Hat er den Angriff geführt?‹
Der Abt ließ eine kleine Pause, um Mao Lu Peng die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, doch es war offensichtlich, dass keine kommen würde.
›War es nicht eher so, dass du ihn beleidigt hast? Hast nicht du ihn herausgefordert und den Angriff geführt? Wenn ich das recht gesehen habe, hat er von Anfang an versucht, diesem Konflikt aus dem Weg zu gehen und bis jetzt hat er dir Frieden angeboten. Wenn du von Buddhas Lehren etwas behalten hättest, würdest du ihm jetzt die Hand geben und diesen Zwist begraben.‹
Jetzt verlangte er unmögliches von ihm. Nach diesem Zwischenfall konnte er sich auf keinen Fall mit mir arrangieren.
Angestrengt überlegte er und vermutlich kam er in dieser kurzen Zeit zu dem Schluss, dass es seiner Absicht, einmal Abt zu werden, förderlicher wäre, wenn er nachgab.
Mao Lu Peng, der sich während des Gesprächs mit dem Abt erhoben hatte, wandte sich mir zu und streckte mir seine Hand entgegen. Um ihm zu zeigen, dass ich meine Einstellung nicht geändert hatte, griff ich ohne zu zögern zu und wollte mit einem herzlichen Händedruck die ganze Sache beenden, doch es blieb bei einem flüchtigen Handschütteln.
Als ich seine Hand berührte, fühlte ich eine Welle des Hasses, die mir entgegenschlug. Ich konnte fühlen, dass alles in ihm nur den Wunsch hegte, mich schnellstmöglich loszuwerden. Erschrocken über diese abgrundtiefe Abneigung, führte ich diesen symbolischen Akt durch und vermied jeden weiteren Körper- und Blickkontakt.
Ich war aber nicht der Einzige, der das bemerkt hatte. Auch die anderen hatten mitbekommen, dass das Ganze nur Show gewesen war und nicht aus einem ehrlichen Herzen kam. Deshalb fiel auch alles andere recht kurz und knapp aus. Es wurden nur noch wenige Worte gewechselt, und dann trennten wir uns. Mao Lu Peng hinkte frustriert und um Haltung bemüht davon und ließ sich den restlichen Tag von keinem mehr sehen. Ich schloss mich der Gruppe um Han Liang Tian an und ging mit ins Kloster.

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