Rückblick nach Giengen

Über Nerenstetten bis nach Ulm

Gleich um 07:00 Uhr stehen wir in der Bäckerei, die gegenüber unserer Unterkunft ist. Die Auswahl ist noch nicht groß, das Meiste noch beim Aufbacken. So früh am Samstag bewegt sich noch nicht viel in Giengen.
Wir sind aber sehr zufrieden mit der Situation, weil es uns immer gut tut, in Ruhe zu frühstücken. Vor allem der Kaffee muss am Morgen sein. Der ist uns beiden wichtig!
Semmeln für unser Abendessen nehmen wir auch noch mit, denn unsere nächste Übernachtung beinhaltet nur Frühstück und in Nerenstetten ist nichts weiter zu finden, wo wir bei unserer Ankunft den Hunger stillen können.

Jetzt kommen anscheinend die sommerlichen Temperaturen. Schon von den ersten Schritten an können wir ohne Jacke laufen. Auch Sabine, also muss es schon ordentlich warm sein.
Aus Giengen heraus geht es erst einmal steil bergauf. Teilweise wird die Steigung durch Treppenstufen entschärft. Oben angelangt sind wir schon durchgeschwitzt, obwohl der Weg von Bäumen beschattet wird.
Für die restliche Etappe erwarte ich – wenn mich meine Erinnerungen nicht täuschen – jedoch keine steilen Anstiege mehr.

ebene Wege

In Stetten treffen wir zum ersten Mal auf unserer Reise Wanderer mit ähnlich großen Rucksäcken wie die unseren. Meine erste Vermutung, es sind auch Pilger, bestätigt sich nicht. Sie laufen den Schwäbische-Alb-Südrand-Fernwanderweg, der zu einem Teil auch unser ausgeschilderter Jakobsweg ist.
Wir unterhalten uns kurz und erfahren, dass sie mit Zelt unterwegs sind, um ungebunden ihre Etappenlängen planen zu können. Das hat sicher seinen Vorteil, doch es ist nicht so unser Ding, zumal wir so gar keine Erfahrungen im Zelten haben.
Noch mehrfach begegnet uns das um einiges jüngere Wanderpaar, bis wir sie bei Lindenau aus den Augen verlieren. Wir hatten kurz vorher eine Rast gemacht, sie pausieren hier.

Den Durst stillen auf einer schattigen Bank:

Schattenbank

Setzingen, der Ort vor unserem heutigen Ziel, bringt eine interessante Begegnung. Ein alter Landwirt spricht uns an und wir erfahren, dass ein Einwohner des Dorfes in einem Stück, von Setzingen nach Santiago de Compostela und zurück gepilgert ist. Eine enorme Leistung!
In der kühlen Kirche – ja es ist an diesem Tag so warm, dass wir sie zu einer Pause nutzen – erfreuen wir uns an den Fresken aus dem 13 Jahrhundert, bevor wir das letzte Stück bis Nerenstetten in Angriff nehmen.

Fresken

Diesmal wird das Abendessen wieder einmal spartanisch ausfallen, denn wir haben ja nur die Brötchen von Giengen dabei. Unterwegs gab es auch keine Einkaufsmöglichkeit mehr und die Aussicht auf dieses trockene Mahl ist nicht gerade verlockend. Aber es zeigt sich wieder einmal, dass sich alles fügt.
Nur wenige Meter vor dem Gasthof Adler in Nerenstetten kommen wir an einem Automaten vorbei, wo der örtliche Hofladen einiges anbietet. Darunter auch Landjäger, die uns hervorragend zu unseren Semmeln munden werden.
Im Gasthof erfahren wir dann auch, warum wir bei ihnen nur Frühstück bekommen. Das Ehepaar ist noch um einiges älter als wir zwei Rentner und hat im Vorjahr den Gaststättenbetrieb eingestellt. Nachfolger gibt es nicht und sie bieten nur noch die Übernachtungsmöglichkeit an. Hauptsächlich wegen den Pilgern, denen sie sehr gewogen scheinen. Aber eine kleine Brotzeit hätte es sicher gegeben, wie der alte Wirt andeutet. Wir sind jedoch versorgt. Ein Bier zum Tagesausklang zu bekommen, ist aber kein Problem.
Die Nacht und der nächste Tag soll Regen und heftige Gewitter bringen, mal sehen, wie es uns auf dem Weg nach Ulm ergeht.

Tag 23: Die Gewitter kamen in der Nacht. Der Regen ist immer noch da, als wir beim Frühstück sitzen. Wir lassen uns Zeit und hoffen auf Wetterbesserung. Um 09:15Uhr geben wir auf, denn es sieht nicht so aus, dass es vorerst besser wird.
Also Regencape überziehen und los geht’s.

Regen

Allerdings hat es auch einen Nachteil, wenn man bei warmen Temperaturen mit Cape läuft, man schwitzt darunter unglaublich. Rucksack und Inhalt bleiben aber trocken und das ist uns wichtig!
Weit sind wir noch nicht gelaufen, als Sabine feststellt, dass sie schon nasse Füße hat. Schon seltsam, denn auf auf der Etappe nach Heidenheim ist das erst sehr viel später passiert.
Etwas später klart es auf. Wir können uns des Capes entledigen und schnallen es auf den Rucksack. Die Wege sind jedoch aufgeweicht, schmierig und voller Pfützen. Es bleibt für die Füße und Hosenbeine eine nasse Angelegenheit.

Regenpause

Die Gewitter müssen auch von heftigen Fallwinden begleitet gewesen sein. Oft liegen Äste auf dem Weg und sogar mal ein ganzer Baum quer rüber. Von dem aus den Feldern herausgespülten Erdreich, um das wir oft herumtänzeln, mal ganz abgesehen.

Windbruch

Ansonsten ist es eine schöne Strecke, ohne große Steigungen, bis auf einen Abschnitt, wo ich die Wegführung dann doch infrage stelle.
Es geht fast eben auf einem schönen breiten Fahrweg dahin. Wir können am Rande des Sichtfeldes einen Wald sehen und mir fällt ein, dass ich 2017 hier irgendwie vom Weg abgekommen bin. Nach meinen Erinnerungen gibt es, bis es vor Ulm ins Donautal hinabgeht, keine weiteren großen An- oder Abstiege. Ein Pfeil auf dem Fahrweg und unser Wanderführer sagen aber, wir müssen links auf einen Feldweg abbiegen. Der führt in ein Tal hinab und der Grasbewuchs geht bis zu den Knien.
Was tun, geradeaus weiter laufen, in der Hoffnung, es geht ohne großen Umweg ab, oder der Wegführung vertrauen?
Wir entscheiden uns für letzteres, was ich schon bald bereue. Das Gras ist immer noch klatschnass vom Regen und in den Fahrspuren des Feldweges kann man nicht laufen. Sie sind voller Pfützen und Schlamm. Also den Trampelpfad in der Mitte nutzen. Bald sind unsere Hosen bis über die Knie durchnässt, Sabines Füße noch viel mehr.
Dann geht es hinunter ins Tal zu einem Bachlauf und auf der anderen Seite sehr steil einen Wiesenweg hinauf. Das Highlight des Weges, der wildromantisch plätschernde Wasserlauf, der den Anstieg begleitet. Vermutlich der Grund der Wegführung!
Wie wir bald erkennen, hätten wir uns das sparen können, ohne einen Umweg zu laufen. Geradeaus den Fahrweg weitergehend, am Waldrand rechts einen ebensolchen Weg an einer Sportanlage vorbei, wären wir trocken zur gleichen Stelle gekommen.
Ach ja, die romantische Wegführung … manchmal ein Genuss, das nächste Mal nicht so schön!

Genau aus diesem Grund sehen wir, als uns die Ausschilderung erneut von einem asphaltierten landwirtschaftlichen Weg wegbringen will, davon ab ihr zu folgen. Wir können die prachtvolle alte Linde mit Ruhebank schon sehen, die im Wanderführer erwähnt wird und erkennen keinen Nutzen in der Wegführung. Ganz offensichtlich wäre es ein Umweg und vermutlich auch wieder über nicht so gut begehbare Pfade würden wir auch zu der Linde kommen.

alte Linde

Gut gewählt, denken wir und nutzen die Bank für eine Pause und haben dabei ein … naja, kurioses Erlebnis.
Neben der Linde ist eine Wegkreuzung, an der ein Wandererpaar stehen bleibt. Der Mann – um einiges älter als die Frau – verabschiedet sich mit vielen Küsschen von ihr. Er will seinen Weg in unsere Richtung schon fortsetzen, aber die Frau scheint mit irgendetwas nicht zufrieden zu sein. Er muss ihre kurzen Hosen bis zu den Knien herunterziehen und auch noch den Slip lüpfen. Wo das Problem liegt wissen wir nicht, denn wir sehen diskret weg.
Nachdem die Hosen wieder oben sind, wiederholt sich die Verabschiedung. Der Mann läuft dann an uns vorbei, die Frau in die Richtung, die auch wir gleich einschlagen werden. Was sie wohl gesucht haben? 

Wir überqueren die A8 und laufen auf Oberelchingen zu. Dunkle Wolken ziehen wieder auf. Ob wir noch einmal in ein Gewitter kommen?
In Thalfingen geht es hinunter ins Donautal. Eine schöne Bank lädt noch einmal zu einer Pause ein, die aber sehr kurz ausfällt. Die näherkommenden dunklen Wolken, aus denen wir schon Donnergrollen hören, animieren zum Weitergehen.
„Na, dann laufen wir dem Regen Mal entgegen“, sage ich scherzhaft.
Kaum gesagt, zieht Sabine an mir vorbei. Sie hofft, dem Gewitter entgehen zu können, weil sie denkt, wir sind fast am Ziel und ich habe Mühe Schritt zu halten.
Ich verrate ihr nicht, dass noch einige Kilometer vor uns liegen. Befürchte ich doch, dass sie das dann wieder demotiviert.

Regenwolken

Wir schaffen es natürlich nicht und das Regencape muss noch einmal herhalten, während wir an der Donau entlang Ulm zustreben. Lange müssen wir aber den Regenschutz nicht anbehalten, denn das Gewitter streift uns nur. Die Wolken drohen aber mit weiterem Ungemach.
Es ist eine schöne Strecke, doch es zieht sich, bis wir Ulm erreichen. Sabine erkennt, dass unser Ziel noch nicht greifbar ist und verringert ihr Tempo wieder.

Donauweg

Bei den Wiesen am Donaustadion sind Festzelte aufgebaut und Unmengen an Menschen sind auf dem Donaupromenadenweg zu Fuß oder per Rad unterwegs. Das Laufen und ständige Ausweichen wird aufreibend. Sabines Kondition lässt nach, wir sind ja schon über die fünfundzwanzig Kilometer Marke hinweg.
Wir streben dem Zentrum zu und staunen, wie selbstbewusst manche doch sind. Neben seinem Autos steht nur in seiner Unterhose ein Mann, kramt im Fahrzeug nach anderer Kleidung und beginnt sich anzuziehen. Da wären wir doch viel zu verschämt, um so etwas an dieser viel befahrenen Straße zu tun.
Auch in der Innenstadt ist großer Betrieb. Mitglieder von Musikkapellen mit ihren Instrumenten und in schmucken Uniformen begegnen uns und aus einer Kirche, an der wir vorbeikommen, erschallt die Musik einer Blaskapelle.
Im Münster holen wir uns einen Stempel, bevor wir den Weg zur Jugendherberge in Angriff nehmen.
Kaum sind wir aus dem Gewusel der Innenstadt heraus, beginnt es wieder zu regnen. In der Jugendherberge wird es kein Abendessen geben, weshalb wir uns mit dem Gedanken tragen, das schon einmal in einem Restaurant auf dem Weg einzunehmen.
Das erste, was wir uns ansehen, sieht sehr gehoben aus und die Preise sind es auch. Wir, verschwitzt und mit Rucksack da rein? Kommt vermutlich nicht gut, also weiter. Das nächste ist mehr Bierkneipe und Bar. Voll ist es auch noch und der Regen lässt wieder nach. Sabine meint, es geht auch ohne Abendessen und will nur noch ihre Beine hochlegen.
Weiter geht es durch eine Gartenanlage. Erneut erkenne ich, dass meine Erinnerungen lückenhaft sind. Ich bilde mir, gleich um die nächste Ecke kommt jetzt die Herberge und sage das meiner Frau auch so. Pustekuchen, es zieht sich noch ein ganzes Stück, bis wir fast am Ende der Ulmer Weststadt – nach fast 30km Fußmarsch – die Jugendherberge betreten.
Kein Mensch zu sehen in der Lobby und bei der Anmeldung.
Erst mal die Rucksäcke runter und kurz Warten. Keiner kommt, aber in der ersten Etage sind Stimmen zu hören. Ich gehe hoch und finde zwei Frauen mit Reinigungsarbeiten beschäftigt. Eine davon unterbricht sofort ihre Arbeit und wir können einchecken.
Ein Zimmer mit drei Doppelstockbetten wird das unsere. Wir werden es auch mit niemanden teilen müssen. Der Fußboden ist an einigen Stellen noch feucht. Anscheinend sind die Reinigungsarbeiten hier gerade erst beendet worden.
Erst mal raus aus den verschwitzten Sachen und Sabine muss kurz ihre Beine hochlegen. Ich hingegen brauche gleich meine Dusche, um mich wieder wohlzufühlen. Gleich schräg gegenüber unseres Zimmers sind die Toiletten und Waschräume für die Frauen, die für die Männer auf der anderen Seite. Also einmal ums Geviert des Treppenaufgangs.
Hier sind sie noch nicht durch mit dem Saubermachen, aber egal, so schlimm sieht es nicht aus.
Ich komme zurück und Sabine ist jetzt soweit erholt auch unter die Dusche zu gehen, doch jetzt merken wir, wie sehr uns der Magen knurrt. Ich suche nach dem Personal, um mich zu erkundigen, ob es noch eine Möglichkeit in der Nähe gibt, wo wir essen gehen können und freundlich werde ich aufgeklärt.
Es gibt eine Gartenkneipe, die nicht weit weg ist, aber einfacher wäre es, sich etwas bringen zu lassen. Im Eingangsbereich liegen Flyer und im Internet sind einige Anbieter zu finden, die ab einer bestimmten Bestellgröße einen Bringservice anbieten.
Sabine bestellt bei einer Pizzeria, bevor sie nun endlich duschen geht. Damit uns der Lieferant nicht lange suchen muss, setze ich mich in die Lobby. Zwei Bier kaufe ich vorher noch und erfahre in einem kurzen Gespräch, warum die Anmeldung nicht besetzt ist.
Eigentlich wäre sie das um die Zeit, aber es war ein hartes Wochenende fürs Personal und am Morgen haben sich auch noch zwei krank gemeldet.
Ulm war vom 29.05. bis zum 01.06. Austragungsort für das „Deutsches Musikfest 2025“ und schon seit vielen Wochen komplett ausgebucht. Kein Quartier mehr zu finden in der gesamten Stadt und in der Jugendherberge wurden schon Notbetten in die vollbelegten Zimmer gestellt. Insgesamt 126 Gäste hatten sie bei 114 Betten ohne die Notbetten. Ganze Musikgruppen hatten eingecheckt und die Bar leer getrunken. Die 2 Bier, die ich bekommen habe, sind die letzten, sonst gibt es nur noch Radler, Cola und ähnliches.
Da das Fest heute endet, haben alle schon ausgecheckt und wir sind mit 6 weiteren Gästen allein in der Herberge. Was für ein Glück, dass wir in Nördlingen einen Ruhetag eingelegt haben! Sonst wären wir am Vortag in Ulm angekommen und hätten keine Unterkunft bekommen.
Alles fügt sich!
So erscheint es uns auch, als wir dann mit unserer Pizza und der großen Salatschale im Zimmer sitzen. Es fühlt sich an wie ein Schlemmermahl. Dazu noch das Bier und für Sabine ist die Welt wieder in Ordnung.
Na, da werde ich mich zu Hause aber umstellen müssen, wenn sie dann abends auch ein Bier trinken will. 
Als wir irgendwann zwischen 21:00 und 21:30Uhr ins Bett kriechen hören wir die Frauen immer noch beim Reinigen der Anlage und da ist – eine von ihnen zumindest – schon seit 07:30Uhr vor Ort. Alle Achtung dafür, dass sie uns trotzdem immer noch so freundlich beraten hat!

Ein Gedanke, der mir jetzt beim Schreiben kommt: Sabines Kräfte lassen ab der 20km Marke nach, sie erholt sich aber recht schnell wieder, wenn sie dann im Quartier die Beine hochlegen kann. Wie wäre es, wenn wir auf der halben Etappe eine längere Pause machen? Könnte meine Frau dann auch solche langen Etappen wie diese hier ohne Probleme meistern?
Etwas, was wir bei unserer nächsten Pilgerreise testen könnten. Nur weiß ich nicht, wie mir so eine Pause bekommen würde, weil ich dann aus meinem Mandra gerissen bin. Aber, Versuch macht klug.

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