
Nördlingen und der Weg nach Neresheim
Vor acht Jahren hat mich die Stadt Nördlingen schon fasziniert. Obwohl ich nur einen sehr kurzen Eindruck davon mitnehmen konnte, weil es nur eine Zwischenstation auf einer längeren Etappe war. Diesmal haben wir einen Tag Zeit, die Stadt zu erkunden.
Schon nach unserer Ankunft und dem Frischmachen im Hotel drehen wir eine Runde durch die schöne Altstadt. Am Abend besuchen wir dann eine wunderbar urige Gaststätte, den Bayrish Pub, weil es im Hotel nur Frühstück gibt. Aber nicht nur das Ambiente der Gaststätte hat es in sich, auch die Speisekarte lässt kaum einen Wunsch offen. Ich gönne mir ein Grill-Steak mit Kartoffelsalat, Kräuterbutter und Beilagensalat und fühle mich fast wie an einem Grillabend zu Hause. Es ist so etwas von lecker, dass ich am liebsten mein Bier stehen lassen möchte, um den Geschmack länger im Mund zu behalten.
Sabine ist auch sehr angetan von ihrer Mahlzeit und schafft es kaum, sie zu verdrücken.
Irgendwann trinke ich dann doch mein Bier. Auch Sabine ist seit wir Pilgern auf den Biergeschmack gekommen. Sie lechzt am Abend förmlich nach etwas anderem als dem lauwarmen Wasser.
Die Kosten für den Gaststättenbesuch halten sich auch in Grenzen, für eine Touristenstadt wie Nördlingen, wie wir erfreut feststellen.
Ruhetag: Nach dem Frühstück rufen wir bei einer örtlichen Wäscherei an, wegen unserer müffelnden Kleidung. Im Waschbecken rauswaschen geht ja noch, aber ein Platz zum Trocknen fehlt.
Es klappt und auch hier ist der Preis vertretbar. Nur beeilen müssen wir uns, denn die Wäscherei schließt wegen des morgigen Feiertages schon um 12:00Uhr.
Hastig packen wir alles in einen großen Beutel, borgen uns vom Hotel Regenschirme und stürzen los. Natürlich trotz Stadtplan erst einmal in die falsche Richtung. Wir haben aber in den Städten auch ein Talent für so etwas.
Zeitig genug kommen wir trotzdem noch an und die Wäschereibetreiberin hat extra eine Waschmaschine für uns frei gehalten.
Jetzt haben wir Zeit bis kurz vor Mittag.
Ausgefüllt wird sie mit einem ungeplanten – fast kompletten – Rundgang auf der Stadtmauer. Zum einen regnet es und wir sind auf dem überdachten Wehrgang vor dem Regen geschützt und zum anderen haben wir wieder einmal die falsche Richtung eingeschlagen. Wir müssen genau auf die andere Seite der Stadt, weil Sabine in einem Supermarkt, der außerhalb der Altstadt ist, unsere Haferriegelvorräte auffüllen will.
Die Besichtigung dieses mittelalterlichen Reliktes stand aber sowieso auf meinem Plan für den Tag. Nur nicht in der kompletten Länge – schmunzel.
Die Besorgungen sind gemacht, die Wäsche abgeholt. Was für ein angenehmes Gefühl, in saubere, frisch riechende Kleidung zu schlüpfen.
Ein kurzes Mittagschläfchen gönnen wir uns, es soll ja ein Ruhetag werden. Danach zeigt es sich, dass man sich nie wirklich auf den Wetterbericht verlassen kann. Der angekündigte ganztägige Regentag, hält nur bis kurz nach dem Mittag an. Es ist zwar immer noch bewölkt, doch es kommen nur ganz wenige kurze Schauer am Nachmittag hinzu. Der Tag ist nichts im Vergleich zu dem Marsch von Gunzenhausen nach Heidenheim!
’Hätten wir vielleicht doch weiter laufen sollen?‘, frage ich mich.
Nein, Sabine tut der Ruhetag ganz offensichtlich sehr gut und ich genieße es, Nördlingen zu erkunden.
Wir besuchen das „RiesKraterMuseum“, welches besonder Sabine beeindruckt. Ein Meteorit vom 1km Durchmesser ist hier vor 2 Millionen Jahren eingeschlagen und hat die Landschaft innerhalb von 20 Sekunden total verändert. Gesteinsbrocken dieser Explosion wurden sogar bis nach Böhmen geschleudert. Außerdem besuchen wir noch eine weitere Ausstellung im Stadtmuseum, wo wir mehr über den Dreißigjährige Krieg mit der Schlacht bei Nördlingen 1634 erfahren. Anschaulich dargestellt auch mit einem Zinnfigurendiorama. Authentisch erzählt, erfahren die Besucher von den Schrecken für die Bevölkerung und wie die Schlacht den Geschichtsverlauf beeinflusste. Anschließend schlendern wir noch eine Weile durch die Altstadt und machen die nächsten Quartiere fest. Bei Himmelfahrt, Brückentag und Wochenende scheint es angeraten bis zum Sonntag vorzuplanen.
Am Abend kann ich nicht widerstehen und wir besuchen ein weiteres Mal den Bayrish Pub. Zu Mittag gab’s ja nur Kaffee und Kuchen, versuche ich mich wegen der Kosten für diesen Ruhetag zu beruhigen.
Tag 20: Himmelfahrt, aber ach … das drängt sich uns erst wieder ins Gedächtnis, als wir auf einige Männerwandergruppen stoßen. Was für ein Wochentag ist, oder ob ein Feiertag ansteht, vergisst man schnell bei so einer Pilgerreise.
Was sich nach diesem Tag Pause aber wieder zeigt, ist, wie unterschiedlich wir auf so eine Unterbrechung reagieren.
Sabine wirkt ausgeruht und ist gleich wieder flott unterwegs. Ich hingegen habe Mühe in Tritt zu kommen. Eine Unterbrechung des täglichen Mandras bekommt mir anscheinend nicht so richtig. Mein linkes Knie beginnt auch zu schmerzen und schwillt an. Bisher hat sich so etwas aber immer wieder gegeben. Ich hoffe auch diesmal darauf.
Unsere Route führt uns ein Stück durch die karge Landschaft der schwäbischen Alb, die mit ihren Ausläufern an das Nördlinger Ries grenzt. Für die Landwirtschaft ist diese Gegend nur eingeschränkt nutzbar, für uns Wanderer hat sie dafür einen besonderen Reiz. Die offene Landschaft erlaubt weite Blicke ins Land und bietet dem Pilger gut begehbare Wege.
Bei Albuch findet man einen Gedenkstein, der an die große Schlacht, die 1634 hier stattfand, erinnert. Auf einer Infotafel erfährt man die Details dazu.
Nur wenig später lassen wir wieder einmal ein Stückchen der „romantischen“ Wegführung aus. Die Ausschilderung führt zu Burgruine Niederhaus. Ein durchaus interessantes Stück mittelalterliche Geschichte, das ich vor acht Jahren erkundet habe. Nur der schmale Pfad danach, der über den Steilhang hinab zurück zur Straße führt, erschien mir schon damals als sehr gefährlich, wenn man einen schweren Rucksack trägt. Für Sabine sicher nicht der richtige Weg und mein Knie sagt heute auch Nein.
Weiter geht’s durch Flur und Wald. Ein Stückchen auf einem malerischen Pfad an einem Bach entlang, bis wir nach Christgarten bei einem Wildgehege anlangen.
Das klingt eigentlich verniedlichend, denn es ist – nach meinem dafürhalten – ein riesiges eingezäuntes Waldgelände des Fürstenhauses Wallerstein. Fast zwei Kilometer läuft man durch das Gehege und später noch lange Zeit am Zaun entlang. Glücklicherweise darf man es durch große Tore betreten, sonst wäre ein erheblicher Umweg angesagt.
Weil ich mich noch erinnern kann, dass auf der Strecke durch den Wald keine gute Rastmöglichkeit zu finden ist, nutzen wir einen überdachten Grillplatz des Fürstenhauses, der etwas abseits des Weges zu sehen ist. In Ermangelung anderer Sitzgelegenheiten weichen wir auf Kisten aus, die wir glücklicherweise finden können..
Auf halber Strecke durch den Wald, treffen wir auf eine junge Familie mit zwei kleinen Kindern, die mitten auf dem Weg sitzend, Picknick macht. Die Frau spricht Sabine an und schenkt uns nach einem kurzen Schwatz zwei gekochte Wachteleier als Wegzehrung.
Es ist immer wieder schön zu erleben, wie aufgeschlossen und freundlich die meisten Menschen Pilgern gegenüber sind.
Bei der nächsten Rast, am Waldrand auf einer Bank, haben wir uns die Eier schmecken lassen.
Wir erreichen offenes Gelände und sehen dunkle Wolken, die auf uns zuziehen. Ein Blick auf den Regenradar sagt, wir werden nass!
Wir beschleunigen unseren Schritt um wenigstens den nächsten Wald zu erreichen … und schaffen es auch. Unter einer großen Buche stehend ziehen wir den Rucksackschutz über und hoffen, dass wir das Regencape nicht auch noch herausholen müssen.
Glück gehabt, der Regen streift uns nur und die Buche schützt uns so gut, dass wir nur wenig davon abbekommen.
Laut Radar soll ein weiterer Schauer hier vorbeikommen, also zügig weiter, um dem zu entgehen. Nur mein Knie macht mir heute zu schaffen. Trotzdem legen wir keine Pause in einer schönen Schutzhütte ein, weil für den restlichen Tag das unbeständige Wetter bleiben soll.
Nur in der Wallfahrtskapelle „Maria Buch“ gestatten wir uns das. Kapelle und Anlage sind wirklich beeindruckend und wir hätten die Pause vielleicht sogar noch etwas ausgedehnt, wären nicht immer mehr Besucher gekommen. Wir nehmen an, dass eine Himmelfahrtsandacht stattgefunden hat.
Das wäre uns dann doch zu lange geworden und wir streben aus Furcht vor einem weiteren Regenguss zügig unserm Ziel entgegen.
Weit ist es ja nicht mehr bis Neresheim.
2017 habe ich im Kloster übernachtet. Das Tagungshaus stellte preiswerte Zimmer für Pilger zur Verfügung. Diesmal geht das nicht, weil die Betreiber den Vertrag mit dem Besitzer nicht verlängern konnten und inzwischen eine Flüchtlingsunterkunft in den Räumlichkeiten ist. Wir werden daher in Neresheim in einem Gasthof übernachten.
Kloster und Kirche sind dennoch eine Besichtigungs-Highlight, doch uns zieht es zum Quartier. Vor allem Sabine, weil wir schon wieder auf die 25km Marke zustreben und auch mein Knie sagt, ich soll die Beine hochlegen.
Bei Gelegenheit werde ich meiner Frau die Bilder zeigen, die ich bei der Besichtigung vor acht Jahren gemacht habe.

Wir checken, ohne noch einmal in Regen gekommen zu sein, im Gasthof ein. Zu Abend werden wir nur die in Nördlingen besorgten Brötchen essen, weil wegen des Feiertages der Gastraum nur bis zu Mittag geöffnet war. Zwei Flaschen Bier möchten wir aber gerne mit aufs Zimmer nehmen, woraufhin uns die Wirtin berichtet, dass es schon einige Notfälle mit Pilgern gegeben hat. Vor allem im Hochsommer, wenn die Wanderer zu wenig Wasser mit dabei hatten und dann ausgedörrt bei ihr ankamen. Einige schlugen ihre Warnungen in den Wind und verlangten ein kaltes Bier, was sie hastig hineingeschüttet haben und sind dann zusammengeklappt. Das wird uns aber nicht passieren. Wir haben genug getrunken unterwegs und das Bier genehmigen wir uns auch erst nach dem Duschen, beim Essen.
Huuuiii, ist mein Knie geschwollen, stelle ich auf dem Zimmer fest. Im Bett das Bein hochgelegt sitze ich daher bald und verzichte darauf Tagebuch zu schreiben. Sabine schreibt ja ausführlich und ich den Blog.