Stadtmauer von Gunzenhausen

Auch Regen gehört dazu

Heute geht es über den Spielberg bis nach Heidenheim. Wenn ich mich recht erinnere, eine landschaftlich sehr schöne Etappe, mit weiten Blicken ins Land. Doch vorher ein ordentliches Frühstück in der Jugendherberge, das ist uns wichtig!
Die Rucksäcke schon auf dem Rücken, gehen wir danach noch einmal durch den Speisesaal, um unseren Zimmerschlüssel abzugeben. Es ist ja Sonntagmorgen, also immer noch keine Rezeption besetzt. Alles läuft über die Dame vom Küchenpersonal. Man kann nur hoffen, dass es ihr auch entsprechend vergütet wird, was sie neben ihrem Aufgabenbereich alles noch managt.
Während ich mich noch kurz mit dieser Herbergsangestellten unterhalte, wird Sabine von einer Frau angesprochen, die ihr Frühstück noch nicht beendet hat. Auch sie pilgert, wie ich später erfahre, allerdings immer nur wenige Tage am Stück.
Das hat sicher auch seinen Reiz, weil man mit weniger Gepäck auskommt und doch fühlt es sich ganz anders an, wenn man über viele zusammenhängende Tage unterwegs ist. Es hat etwas vom Leben in seiner Gesamtheit, denn nichts ist gleichbleibend. Jede Wegstrecke anders, jedes Quartier anders. Ständig lernt man neue Menschen kennen und wenn man keinen Pausentag einschiebt, legt man jede Nacht sein Haupt woanders zur Ruhe.
Nie genau im Voraus zu wissen, wie es sein wird, hat etwas von einem Abenteuer. Einer Abweichung vom strukturierten Alltag. Vielleicht gibt es mir das Gefühl jünger zu sein und lässt mich deshalb gerne diesen Weg gehen, obwohl ich sonst ein Gewohnheitsmensch bin.

Auf geht’s, erste Station nur zwei Ecken weiter, ist eine Bäckerei, die auch sonntags geöffnet hat. Bei der nächsten Übernachtung ist kein Abendessen und Frühstück inbegriffen, weshalb wir uns dahin gehend eindecken wollen.
Danach schnell in die Kirche, einen Stempel holen, bevor eventuell ein Gottesdienst anfängt. Gestern Abend war sie schon geschlossen. Heute haben wir Glück, es sind zwar schon Kirchgänger da, doch wir können unser Vorhaben noch umsetzen.
Bevor wir die Kirche verlassen, werden wir noch von einem Mann angesprochen. Wir vermuten, es ist der Pfarrer und er interessiert sie sehr für unser Pilgern. Ein Bild von uns, neben der Jakobus Statue, die bei einem Seitenausgang steht, macht er auch noch. Das erste unserer Reise, auf dem wir gemeinsam zu sehen sind.

Posen

Zum Abschied meint er noch, dass das Wetter es doch gut mit uns meint. Es wäre ja ideal. Nicht zu warm und trocken. Wie falsch er doch liegt, merken wir aber bald.
Weit sind wir noch nicht gekommen als leichter Nieselregen einsetzt. Okay, wird schon nicht so schlimm werden. Rucksackschutz überstreifen und die Kapuze sollte reichen.
Falsch gedacht! Aber so was von falsch. Bis wir unter einer Eisenbahnbrücke die Möglichkeit haben unser Regencape herauszuholen und überzustreifen, sind wir schon total durchnässt.

Nieselregen

Also Tempo, möglichst ohne größere Pause zum Ziel. Glücklicherweise ist die geplante Etappe unter zwanzig Kilometer, da wird es schon gehen.
Schwere Regenwolken dominieren den Himmel. Vielerorts steigt die Feuchtigkeit als Dunst vom Boden auf. Die Sicht ist meist bis auf wenige hundert Meter eingeschränkt.

Regen

Also Blick auf den Boden, um nicht in größere Pfützen oder Schlamm zu tapsen und es kommt, wie es kommen muss.
Sabine feuert mich an: „Lauf nur mal ein bisschen schneller!“
Häää, hab ich mich jetzt verhört? Die, derentwegen ich mich sonst meist einbremse, will, dass ich schneller laufe? Ungläubig blicke ich mich um.
„Mach schon, damit wir bald aus den nassen Klamotten rauskommen!“
Also gut, stur auf den Boden blickend, erhöhe ich die Geschwindigkeit. Eine Weggabelung ohne Markierung wohin es geht. Dann sicher geradeaus, doch bald gibt es da keinen richtigen Pfad mehr, nur ein Wildwechsel durchs hohe Gras in den Wald.
Hier stimmt was nicht! Also doch das Handy aus der geschützten Innentasche holen und nach den GPS-Tracks schauen.
Klar, wir sind vom Weg abgekommen. Also zurück.
Es ist zum Glück nicht weit, bis wir die Feldwegkreuzung erreichen, an der es auf einem schmaleren Pfad links weggeht. Durch den Blick nach unten haben wir den Pfahl mit dem Wegweiser übersehen, der etwas seitlich am Feldrand steht.

Gnotzheim, etwas mehr als die Hälfte der Etappe haben wir hinter uns, der Spielberg steht uns aber noch bevor.

Spielberg

Mittagszeit und wir brauchen eine Pause, weil die Kräfte nachlassen. Die offene Kirche erscheint uns als möglicher Rastort am geeignetsten.
Nass bis auf die Knochen setzen wir uns trotzdem zu einer Pause in die kalte Kirche. Wenigstens kein Regen, während wir in unseren Haferriegel beißen.
Ich hoffe, Gott hat Verständnis, dass wir das in seinem Haus tun.
Als wir zurück ins Freie treten, beginnt der Regen nachzulassen. Aber wir müssen uns bewegen um nicht zu frieren, so nass wie wir sind.
Am Rande von Gnotzheim kommen wir am Sportzentrum vorbei. Trotz des Regens ist ein Fußballspiel im Gange. Ja, nur die Harten kommen in den Garten. Gehören wir dazu?

Der Spielberg muss von uns bewältigt werden. Zur Römerzeit soll sich auf der Anhöhe ein Beobachtungsposten des Kastells von Gnotzheim befunden haben. Jetzt glänzt der Ort durch sein Schloss. Unterhalb des Anstieges weicht die Pilgerwegführung vom Radweg ab. Es beginnt wieder eine romantische Streckenführung durch Felder und dann den Berg hinauf durch den Wald, direkt zum Schloss.
So nass wie wir sind, und so schlüpfrig wie der Weg durch den Wald nach dem Regen vermutlich ist, sicher heute keine verlockende Alternative. 2017 habe ich im Ort Spielberg in einem Gasthof übernachtet und weiß, dass man auf dem Radweg und später Fußweg, gut bis hoch zum Schloss kommt.
Also, heute Asphalt treten und nicht dem naturnahen Weg nehmen. Laut Ausschilderung ein Anstieg von 16%, später sogar auf ein kurzes Stück noch steiler. Circa 200 Höhenmeter sind es, die wir ansteigen müssen, bevor wir beim Schloss wieder auf den ausgeschilderten Weg kommen.
Eine Besichtigung fällt heute aus, nur schnell weiter zum Ziel, um aus den nassen Sachen rauszukommen.
Obwohl … der Dauerregen hat aufgehört und im Wind beginnt die Jacke schon langsam zu trocknen. Was aber darunter ist und die Füße, die trocknen nicht.
Es geht auf der anderen Seite von Spielberg wieder den Berg hinunter. Zum großen Teil auf gut befestigten Waldwegen. Dennoch sind unsere Augen fast durchgängig auf den Boden gerichtet, weil Unmengen an riesigen Weinbergschnecken die Feuchtigkeit nutzen, um den Weg zu überqueren.

Schnecken

Krach! Peng! Und wieder peng! Es klingt fast als würde jemand Holzklötze auf einen Hänger gegen die Bordwand werfen. Und es nimmt kein Ende.
Heute, zum Sonntag Nachmittag? Nach diesem Regen? Schon recht unwahrscheinlich.
Wir kommen aus dem Wald heraus und es klärt sich auf. Hier, ein ganzes Stück außerhalb von Heidenheim befindet sich ein Schießstand mit Schießhalle. Anscheinend nutzt ein Schützenverein den Sonntag zum Übungsschießen. Na, dann schnell weg, bevor uns noch die Kugeln um die Ohren fliegen.

Heidenheim, mit seinem Kloster und der imposanten Klosterkirche. Wir wollen uns im Quartier zuerst der nassen Kleidung entledigen, auch wenn inzwischen manchmal die Sonne durch die Wolken lugt. Danach bleibt immer noch genügend Zeit die Kirche zu besichtigen und unserem Pass einen weiteren Stempel hinzuzufügen.

Kloster Heidenheim
„Sag mal, ist das nicht die Frau, mit der du dich in der Jugendherberge unterhalten hast?“, frage ich Sabine und deute auf eine Person, die in trockener Kleidung vom Kloster her geschlendert kommt.
„Äh ja, sieht so aus.“ Sabines Verblüffung ist grenzenlos. „Wie kommt die denn so schnell hierher?“, fragt sie, geht dann aber hin und bittet um Aufklärung.
Meine Frau kommt sich ein bisschen vor, wie bei Hase und Igel. Es stellt sich aber heraus, dass die Pilgerin die Strecke Gunzenhausen–Heidenheim schon am Vortag gelaufen ist, weil sie bei dem angekündigten Regenwetter nicht unterwegs sein wollte. Gestern Abend hat sie dann jemand mit dem Auto bis nach Gunzenhausen mitgenommen, sie hat dort übernachtet und heute ist sie mit dem Bus wieder zurückgefahren.
So kann man es natürlich auch machen, aber wollen wir so ein hin und her? Mal sehen, wir werden ja noch ein Stück unterwegs sein.

Über dem Café „Emil“ ist unser Zimmer für diese Nacht. Eine sehr schöne Unterkunft und wir nutzen auch gleich die Dusche. Nicht weil wir vor Schweiß stinken, aber es ist einfach angenehm unter dem warmen Wasser zu stehen.

Café Emil

Die nasse Kleidung hängen wir überall wo es möglich ist im Zimmer auf. Wir dürfen sogar einen Wäscheständer dazu nutzen und die Heizung ein wenig aufdrehen. Für die Schuhe bekommen wir Zeitungspapier, um sie innen damit auszustopfen. Hoffentlich werden sie bis morgen früh wieder trocken.
Im Café gönnen wir uns noch Kaffee und Torte. Also, ich mir sogar zwei Stück Schwarzwälder Kirschtorte – seufz. Da kann ich doch einfach nicht widerstehen. Meine Lieblingstorte, auch noch selbst gemacht von der Betreiberin des Cafés. So was von oberlecker, ich könnte glatt noch ein Stück verdrücken.
Es gibt Menschen, deren Elan man kaum erfassen kann. Die Betreiberin des Cafés gehört dazu. Sie geht einer Arbeit nach – welche, das ist haben wir nicht erfragt. Nebenbei backt sie viele verschiedene Torten und Kuchen für ihr Café, was sie von Donnerstag bis Sonntag Nachmittag mit ihrem Mann betreibt. Wenn viel Betrieb ist, haben sie wohl auch noch eine weitere Bedienung und doch ist es ein gewaltiges Rundumprogramm.
Dazu betreibt sie noch die Zimmervermietung, was ja auch wieder mit Arbeit verbunden ist. Unsere Hochachtung hat das Ehepaar auf jeden Fall!

Nachdem wir uns gestärkt und erwärmt haben, gehen wir in die Klosterkirche. Einmal wegen dem Stempel und zum anderen, weil ich das restaurierte Gotteshaus gerne ohne Gerüst und Verhüllung im Inneren sehen möchte. Bei meinem Besuch vor 8 Jahren war die Instandsetzung gerade im vollen Gange und vieles konnte man nicht sehen.
Also Kirche stimmt ja nicht, es ist ja das Münster St. Wunibald und was man von der Außenansicht gar nicht so erfassen kann, zeigt sich dann im Inneren. Die Restaurierung des imposanten Kirchenschiffes hat sich wirklich gelohnt. Auch der Kreuzgang und Innenhof des Klosters sind eine Besichtigung wert.

Kreuzgang

Dort werden wir von einer Frau angesprochen, die gerade eine Ausstellung betreut. Am Abend findet in der Kirche ein Konzert statt, zu dem sie uns einlädt. Es ist sicher in Highlight und Sabine zögert besonders, aber wenn wir an das kalte Kirchenschiff denken und die Wanderung im Regen, die uns noch in den Gliedern steckt, sehen wir dann doch davon ab teilzunehmen. Da wollen wir doch lieber im warmen Zimmer noch Tagebuch und Blog schreiben und uns zeitig ins Bett kuscheln.

Als wir unser Zimmer wieder betreten, schlägt uns ein übler Duft entgegen. Unserer durchnässten Kleidung, die wir hier trocknen, entströmt er. Wir müssen unbedingt Lüften, stellen wir fest! Aber erst schreiben und das verzehren, was wir uns für den Abend in Gunzenhausen noch besorgt haben.

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