
Alea iacta est
Die Würfel sind gefallen, wir fahren morgen nach Hause. Schnell noch unseren jüngsten Sohn anrufen, bevor es zu spät wird und fragen, ob er uns denn wieder aufnimmt. War natürlich scherzhaft gemeint diese Anfrage, aber wir möchten ja vom Zug abgeholt werden und er soll auch nicht von unserer Rückkehr überrascht werden. Selbstverständlich ist er das trotzdem, holt uns jedoch gerne ab, wenn wir ihm die Ankunftszeit noch mitteilen. Das müssen wir aber erst noch organisieren, was sich allerdings schwierig gestaltet.
Das Abenteuer Heimreise beginnt schon damit!
Die Zugverbindung von Fribourg nach Hause ist schnell herausgesucht, dann geht es ans Bezahlen der Fahrkarten. Da ich eine große Abneigung dagegen habe, mich bei jedem Anbieter zu registrieren, versuche ich das auch bei der DB als Gast und will mit PayPal bezahlen. Eingeloggt bin ich, aber im letzten Schritt verweigert PayPal das Begleichen der Rechnung. Zu allem Überfluss fliege ich auch bei der DB raus.
Also den ganzen Kram noch mal von vorn. Zugverbindung raussuchen und so weiter und weil ich vermute, es lag daran, dass ich als Gast die Fahrkarten bestellen will, registriere ich mich zähneknirschend bei der DB.
Falsch gedacht, auch diesmal verweigert PayPal die Bezahlung und wieder von vorn das Ganze.
„Aaaarrrg, ich krieg ne Kriese!“
Was machen wir jetzt? Wir haben keine Kreditkarte, hatten uns immer davor gescheut uns eine zuzulegen, weil wir sie bisher auch noch nie gebraucht haben. Kurz vor unserer Tour kam der Gedanke zwar auf, aber da war es zu spät, um es noch zu organisieren. Was bleibt, ist die dritte Bezahloption per Lastschrift. Das kann aber wieder nur Sabine machen, weil ich immer noch mit einem PIN-Generator arbeite, den ich natürlich nicht mit habe und man muss sich zwingend bei der Sparkasse verifizieren. Auch das erkenne ich erst nach einem weiteren erfolglosen Versuch.
Also noch mal ganz von vorn, jetzt auf Sabines Handy. Auch sie muss sich bei der DB registrieren, sonst geht das per Lastschrift nicht.
Ich wollte das Anmelden bei der DB vermeiden, jetzt sind wir beide registriert. Es ist zum Haareausraufen! Aber es klappt endlich, wir haben die Fahrkarten, es geht nach Hause.
Fast eine Stunde hat uns diese ganze Prozedur gekostet. Von den Nerven, die wir dabei gelassen haben mal ganz abgesehen. Jetzt wird es Zeit zur Ruhe zu gehen, die wir in dem schönen Zimmer sicher finden werden. Die Mücken sollten uns jedenfalls in dieser Nacht nicht belästigen, auch wenn wir das Fenster weit offen haben. Es gibt ein Fliegengitter.
Sabine nimmt mich in den Arm, drück mich und sagt:
„Danke für das Abenteuer und dass du mich mitgenommen hast! Jetzt freue ich mich auf zu Hause und die Enkelkinder.“
So ist sie, meine Frau. Sie kann sich viel schneller als ich auf diese Veränderung einstellen und es annehmen. In mir streiten sich die Gefühle und ich brauche ein Stück um Schlaf zu finden. Einerseits bin ich sicher, dass die Entscheidung richtig ist, andererseits bedaure ich sie. Wenigstens den Genfer See hätte ich gerne noch erreichen wollen.
Sabine hat in der Nacht kaum Ruhe gefunden, weil sie die Vorfreude auf zu Hause stark beschäftigt hat. Sie hat sich zwar wieder einmal viel schneller mit der neuen Situation abgefunden, aber fiebert auch unseren Angehörigen zu Hause entgegen.
Beim Frühstück überraschen wir auch den jungen Mann sowie die Inhaberin von Maison des Anges mit der Entscheidung. Auch da merken wir, dass diese Frau eine überaus hilfsbereite Person ist. Sie sucht uns gleich eine Busverbindung nach Fribourg heraus und es ist auch kein Problem, dass ich meinen Wandstab hier zurücklasse.
Ja, ich trenne mich von dem lieb gewordenen Hilfsmittel. Es fällt mir nicht leicht, aber wir müssen mehrfach umsteigen und jedes Mal einen Platz für den Stock zu finden, ist vielleicht nicht so prickelnd.
Dieses letzte Quartier auf unserer Tour war noch einmal ein richtiges Geschenk und wir bedanken uns auch sehr bei der Vermieterin.
Vor lauter Hektik vergesse ich auch noch den Kompressionsstrumpf anzuziehen. Das wollte ich aber bei dieser längeren Zugfahrt auf jeden Fall tun. Also hole ich das im Wartehäuschen an der Straße nach. Nicht so einfach, wenn man schon wieder schwitzige Füße vom Marsch hat. Es ist zwar nicht weit gewesen bis hier her, aber schon wieder recht warm am Morgen.
Pünktlich fährt der Bus dann vor und wir sind schon vor 10:00Uhr beim Bahnhof in Fribourg. Der Fahrer bedankt sich bei den Fahrgästen, dass sie die Busverbindung genutzt haben. Da können wir Deutschen noch viel lernen!
Hm, was machen wir jetzt? Es bleibt noch Zeit, bis 11:33Uhr unser Zug abfährt. Da hätten wir auch die Verbindung eine Stunde früher nehmen können. Aber es ist Ferienbeginn hier und wir waren nicht sicher, ob alle Busse fahren. Deshalb hatten wir zur Sicherheit die spätere Zugverbindung genommen.
„Wir hauen unsere letzten Schweizer Franken auf den Kopf“, schlage ich vor.
Unsere Rucksäcke sind in einem großen Schließfach und wir begeben uns auf die Flaniermeile in Richtung Zentrum. Befreit von der Rückenlast und mit sauberer Kleidung, fühle ich mich auch nicht mehr unwohl, als wir im Außenbereich eines Cafés Platz nehmen. Unsere Wünsche zu äußern gestaltet sich allerdings etwas schwierig, weil die Angestellte nur französisch spricht. Erst als sie eine Kollegin hinzuholt, die etwas deutsch beherrscht, gelingt es.
Der Kaffee ist getrunken, der Kuchen verspeist und wir haben immer noch Zeit in Ruhe durch die Altstadt zu flanieren. Ein gänzlich anderes Gefühl als am Vortag. Es gibt sogar noch eine Kugel Eis für jeden von uns, damit haben wir unsere Franken bis auf ein paar Rappen aufgebraucht.


Pünktlich fährt der Zug dann ab. Wir sind ja in der Schweiz. Jetzt sollte doch alles klappen.
Das eine Mal umsteigen vor Basel klappt auch super, doch dann kommt die Deutsche Bahn und es ist Schluss mit lustig. Der ICE nach Frankfurt am Main fällt aus. Die Lok ist defekt und es ist kein Ersatz verfügbar. Chaos im Bahnhof und in der Information jede Menge Menschen die wie wir vom Zugausfall betroffen sind.
Aber auch hier zeigen die Schweizer Bahnangestellten, dass es auch anders geht als in Deutschland. Alles läuft geordnet ab und jeder wird freundlich beraten. Auch wir bekommen eine Ersatzverbindung herausgesucht und ausgedruckt. Allerdings ist es der nächste fahrplanmäßige ICE bis Mannheim, den wir nehmen müssen, weil die DB nicht in der Lage ist, eine andere Lösung zu offerieren. Andere Verbindungen, die auch möglich wären, bringen keinen wirklichen Zeitgewinn für uns, also heißt es 1,5 Stunden warten.
Zu den regulären Fahrgästen kommen bei der Ersatzverbindung jetzt auch wir gestrandeten Fahrgäste dazu. Der Zug ist rappelvoll.
In Mannheim haben wir erneut Zeit, denn der ICE nach Erfurt hat – wie soll es anders sein bei der DB – Verspätung. Tja und voll ist er außerdem, sodass nur Sabine einen Sitzplatz bekommt. Lange Zeit stehe ich im Gang, bis ich sehe, dass im Kleinkindabteil ein Vater mit seinem Kind allein ist.
Ich frage, ob ich mich mit hineinsetzen kann, er ist aber skeptisch, ob das Kind mit einem fremden Mann einverstanden ist. Mit Sabine wäre das aber kein Problem, klären wir ab. Also Platztausch. Ich auf ihren Platz, sie ins Kleinkindabteil.
Sabine bekommt per Mail die Nachricht, dass unser ICE noch mehr Verspätung aufbaut und wir vermutlich unseren geplanten Anschluss in Erfurt nicht erreichen werden. Einerseits bewährt sich jetzt die Anmeldung bei der DB, weil wir dadurch benachrichtigt werden können, andererseits ist das schon wieder zum Ko… weil wir dann wieder nicht wissen, wie es weiter geht.
Ich bin dann nicht der Einzige, der beim Zugbegleiter nachfragt was für Optionen es für uns gibt, bekomme aber die „beruhigende“ Antwort:
„Ihr Anschlusszug hat auch Verspätung, sie sollten ihn also erreichen können.“
Was für eine beruhigende Aussage. Alle Züge verspäten sich und dadurch geht es irgendwie weiter. Liebe Deutsche Bahn, du bist der „Hammer“!
Es wird allerdings noch lustiger. Zum Glück aber nicht für uns.
Der ICE soll eigentlich bis Berlin fahren, wegen vorhergesagten Unwettern vor Berlin, ist in Leipzig aber Schluss. Die Emotionen kochen bei einigen über.
Wir schaffen unseren Anschlusszug nach Gera. Glück gehabt, oder?
In Jena kommt die Durchsage, dass auf der Strecke vor Gera umgestürzte Bäume auf den Gleisen liegen. Der Zug bleibt stehen und keiner kann sagen, wann es weiter geht. Irgendwann ruckt der Zug doch wieder an, aber unser Anschluss nach Greiz ist natürlich nicht mehr zu schaffen, es wird noch später.
Fast drei Stunden später als geplant sind wir dann schließlich zu Hause angekommen. Das Abenteuer Deutsche Bahn ist überstanden. Mein Fazit: „Fahre nur mir der DB, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt!“
Wobei ich festhalten möchte: Für Unwetter können sie nichts und die Mitarbeiter in den Zügen tun mir auch leid, denn die müssen den ganzen Frust der Fahrgäste ertragen!

Nachwort
Der Morgen nach der Rückkehr fühlt sich besonders für Sabine komisch an. Sie hatte sich unglaublich auf zu Hause gefreut, würde jetzt aber am liebsten weiterlaufen. Also nicht nur sie, auch ich! Dennoch ist sie während unserer Tour mehr im Pilgern angekommen als ich.
Ihr Resümee:
„Es ist gut so wie es ist, denn die Hitze der letzten Tage haben mir schon sehr zu schaffen gemacht. Aber es war eine tolle Zeit. Eine tolle Erfahrung und ein Abenteuer – sieben Wochen lang!
Die Natur und die Menschen, das war einmalig. Im Alltag und unserer hektischen Gesellschaft geht diese Schönheit einfach unter. So schade! Ich hoffe, wir können uns das bewahren und uns immer wieder daran erinnern!“
Mein Resümee und der Grund für den Abbruch kurz nach Fribourg:
„Unsere Körper – vor allem meiner – hat mir gesagt, die Grenze ist erreicht! Schon seit Tagen waren für mich die Anzeichen spürbar. Mein linkes Knie hat wieder geschmerzt, aber ich habe es erfolgreich verdrängt. Meine Sehkraft hat wieder nachgelassen. Vor allem beim rechten Auge. Das war in den ersten Tagen unserer Tour, im Laufe des Tages auch so, hat sich dann aber verloren. Habe ich da oft noch die Fernbrille getragen, brauchte ich sie bald nicht mehr. Ab Uebeschi habe ich sie dann fast ganztägig wieder getragen. Außerdem war ich bei Anstiegen immer schnell erschöpft. Etwas, was ich in der Form nicht so extrem kannte und mir auch nicht eingestehen wollte. Das hatte auch zur Folge, dass sich meine Stimmung verschlechtert hat. Sabine hat es festgestellt und mir auch gesagt. Ich konnte dadurch mit einigen Sachen nicht mehr so umgehen, wie es bei einer solchen gemeinsamen Tour notwendig ist.
Seit ihrem Sturz hat sich Sabines Laufverhalten im schwierigen Gelände verändert. Sie wurde zunehmend unsicherer, vor allem bei Abstiegen, noch gesteigert bei Treppen. Immer spukte der Gedanke im Kopf herum: Was passiert, wenn ich hier wegrutsche? Zieht mich dann das Gewicht des Rucksacks zur Seite und ich stürze in den Abgrund? So gesteigert erlebt am letzten Tag, beim Laufen durchs Galterntal.
Macht man so etwas zusammen, muss sich der Sicherere, um den Unsicheren kümmern und ihn – auch moralisch – unterstützen. Ich hatte aber schon mit mir zu kämpfen und es hat mich noch mehr runtergezogen, dass wir nicht vorwärts kamen. Wieder einmal habe ich nicht so gehandelt, wie es nötig gewesen wäre. Gemerkt habe ich es erst, als es zu spät und die Stimmung wieder gedrückt war.
Sabine hat auch selbst festgestellt, dass ihr die Wärme zu schaffen macht. Ab Mittag wurde sie immer langsamer. Wir hätten also die Tagesetappen kürzen müssen, was mich wiederum runtergezogen hat. Dass ich es vermutlich nicht mehr lange durchgehalten hätte, habe ich ja verdrängt.“
Fazit: Vieles hat ineinander gespielt und die Freude am Erlebnis ging bei uns beiden verloren. Und wir hatten ja schon vor dem Start gesagt, wenn das passiert, brechen wir ab.
Geplant waren noch drei Etappen bis Lausanne. Die nächste bis Romont. Sabine hatte auch schon bei einigen Quartieren angefragt, aber zwei Absagen bekommen, weil schon belegt und die anderen haben sich nicht gemeldet. Wir waren ja bei Fribourg schon im französischsprachigen Raum angekommen. Die Anfragen also immer per Mail in Französisch und auf die Antworten warten. Besser wäre es also gewesen, immer zwei oder drei Tage im Voraus die Übernachtung festzumachen. Eine Erfahrung, die wir zu spät gemacht haben. Auf gut Glück die letzten drei Etappen durchzuziehen, wollten wir uns nicht antun, weshalb wir kurzfristig das Ende beschlossen haben.
Leicht ist uns das nicht gefallen, weil wir im Pilgern angekommen waren. Das tägliche Laufen – auch mit dem Rucksack – hat uns ausgefüllt. Die Begegnungen – wie zum Beispiel mit dem „jungen Schweizer“ oder in den Herbergen/Unterkünften – haben uns bereichert. Also gab es ein lachendes und ein weinendes Auge, bei unserer Entscheidung. Lachend, weil wir uns auf zu Hause – vor allem auf die Enkelkinder – gefreut haben. Weinend, weil wir auch gerne weiter gelaufen wären.
Auch heute noch, wenn wir uns vorstellen, wie es wäre, weiter zu laufen.
Ungefähr ein Drittel der Entfernung bis Santiago haben wir bewältigt. Die über 3000 km auf ca 1800 km – laut einem Hinweisschild bei Fribourg – verkürzt. All die Entfernungsangaben auf Wegweiser usw. sind aber immer mit Vorsicht zu genießen, denn es gibt ja verschiedene Verbindungen bis Santiago. Die Angaben von mir, beruhen auf der mit GPS aufgezeichneten Strecke.
Es gibt in Deutschland drei ausgelassenen Etappen, die wie noch dieses Jahr schließen wollen. Die bei Nürnberg, bedingt durch den Aufenthalt bei Schwiegertochter und Sohn. Eine weitere bei Steinhausen, weil wir eine teure Übernachtung umgehen wollten, die kostenmäßig in der Schweiz zum Standard wurde. Und nach Ravensburg, weil wir nicht eine Etappe von über 30 km bei Regen laufen wollten. Insgesamt etwa 90-100 km, die wir in Deutschland nicht gelaufen sind.
Wenn Gott will, werden wir 2026 den Weg dort fortsetzen, wo wir ihn dieses Jahr abgebrochen haben. Und wir freuen uns darauf!
Ich hatte die Idee zum Pilgern eingebracht und Sabine war anfänglich gar nicht so überzeugt von dem Gedanken. Nach dieser großen Tour 2025 ist sie mehr im Pilgern angekommen als ich. Viele Ideen, das weiter zu leben, geistern ihr durch den Kopf. Wir werden sehen. ALLES FÜGT SICH!
Buen Camino