
Schuhkauf und wieder auf der Strecke
Im Auto meines Bruders sitzend fahren wir den Gewitterwolken davon und den nächsten entgegen, aber wir werden trocken bleiben.
Es ist ein wundervoller Abend bei unserer lieben Verwandtschaft. So schön, wenn man spürt, man ist willkommen! In seit Tagen ungewohnter Weise schlemmen wir.
Kaum im Haus zischt Sabine ein Bier. Na das kann ja heiter werden, wenn sie das auch nach dem Pilgern beibehält.
Tag 26: Auch diesen Pausentag lassen wir es ruhig angehen und laufen erst im Laufe des Vormittags in die Ortsmitte. Das Dorf zählt nicht ganz 3000 Einwohner, dennoch finden wir neben vielen anderen Geschäften einen Laden, der ein breites Angebot an Outdoor Zubehör anbietet. Eine schöne Auswahl an Schuhen inbegriffen.
Sabine wird sehr gut beraten. Zwei paar Schuhe zieht sie in die nähere Auswahl. In beiden kann sie gut laufen, die von Meindl erscheinen ihr aber am Bein zu hoch. So werden es die von Keen und sie werden am Nachmittag gleich bei einer Wanderung im Ried getestet. Es läuft sich gut in ihnen, meint sie. Also kann es morgen weiter gehen.
Komplett alles können wir auch waschen durch diesen Ruhetag. Es fühlt sich wunderbar, an in sauberer und gut riechender Kleidung zu stecken.
Ich sollte hier vielleicht noch erwähnen, dass es noch eine weitere Möglichkeit für neue Schuhe gegeben hätte. Schwiegertochter und Sohn hatten uns angeboten, Ersatzschuhe der gleichen Marke im Internet zu besorgen und von Nürnberg her vorbeizubringen. Ein nicht unerheblicher Weg und ein ganz liebes Angebot. Uns erschien es aber wichtig, dass Sabine sie vorher anprobieren kann. Es soll ja möglichst auch weiterhin ohne Blasen abgehen.
Tag 27: Wir haben uns entschlossen, eine weitere Etappe von circa 25km auszulassen. Der Hauptgrund dafür ist die Übernachtung. Pfingsten steht ja vor der Tür und es wird sowieso schon schwierig in den nächsten Tagen, wie wir merken.
Auf dem Weg nach Thüringen – in unsere Heimatgegend – werden wir von meinem Bruder in Steinhausen abgesetzt. Natürlich müssen wir die Kirche besuchen, auch wenn wir sie bei einem früheren Besuch schon besichtigt haben. Was für ein Prachtbau, für so einen relativ kleinen Ort!
Nachdem wir die stark befahrene Straße überquert haben, führt uns die Ausschilderung über Wald- und Wiesenwege. Nicht so prickelnd nach dem windgepeitschten Starkregen der Nacht. Schon nach kurzer Zeit sind die frisch gewaschenen Hosen bis zu den Knien nass und dreckig. Sabines Füße bleiben aber trocken. Die Schuhe bewähren sich!
Auf schmalen Pfaden geht es anfänglich durch dichten Wald. Wassermassen haben sich die vegetationslosen Wege als Lauf gesucht und tief ausgespült. Schmierig ist es und ich muss ständig Pfützen ausweichen. Mein Stab sinkt manchmal 5-10cm tief im Morast ein und von den Ästen tropft es immer noch auf uns herab. Ich komm ins Rutschen und bin froh, dass ich den Stab zum Abfangen habe. Nur wenige Meter hinter uns kracht ein Ast zu Boden. Vor dem nächsten leichten Anstieg hat sich Wasser und Schlamm in einer Senke gesammelt. Mühsam wird es, einen Weg drum herum zu finden. Das kann ja noch heiter werden heute.
Wir erreichen freie Fläche und es beginnt zu tröpfeln. Also den Regenschutz wieder über den Rucksack.
Aus Winterstettenstadt heraus geht es steil bergauf. Sabine wird an ihre Tätigkeit in der Gemeinde erinnert, als wir an einer Gruppe vorbeikommen, die anscheinend die Sanierung der Straße plant. Oben angekommen, soll man einen schönen Blick von einer Ruhebank haben, aber alles ist nass und lädt nicht zu einer Rast ein.
Eine Viehweide kommt in Sicht. Irgendwie müssen wir da durch. Zumindest an der Stelle, wo die Rinder über den Weg getrieben wurden. Hürdenlauf ist angesagt. Erst einmal über den Strom führenden Weidezaun steigen, durch den von den Tieren tief aufgematschten Boden den besten Weg suchen und wieder über den Zaun. Sabine wirft dabei besorgte Blicke zu den Kühen, die aber viel weiter unten friedlich grasen.
Kurz vor Bad Waldsee kommt dann die Härte! Laut Wanderführer sollten wir folgendes vorfinden:
„Sie gehen in einen Wald. Der Weg gabelt sich. Sie gehen links auf dem schmäleren Pfad weiter. Der Pfad schlängelt sich durch Buschwerk und wird zum Teil steinig. Sie verlassen den dschungelartigen Wald auf einem Feldweg…“
Die Realität sieht aber anders aus.
Es scheint noch gar nicht lange her zu sein, dass hier mit großer Technik gearbeitet wurde. Aufgewühlter Boden und große Pfützen auf dem Weg sind erste Hinweise. Die Bäume lichten sich. Wir kommen in einen Kahlschlagbereich, wo die Stämme kreuz und quer über den Weg liegen. Wegweiser sind nicht mehr zu finden und ich bin froh, mich nach den GPS-Tracks richten zu können.
Nach rechts geht es weiter, aber ach, da kann man ja kaum laufen. Tief ausgefahren ist der Weg, die Pfützen meterlang, oft über die ganze Breite. An den Seiten kann man kaum ausweichen, weil auf dem Boden liegende Äste kein Durchkommen erlauben, doch irgendwie schaffen wir auch das.
Die nächste Wegstrecke wir aber auch nicht besser. Vermutlich, um im aufgeweichten Boden nicht gar so tief mit der Technik einzusinken, haben die Waldarbeiter die Äste quer über den Weg platziert, um darüber zu fahren. Man weiß gar nicht, wie man laufen soll! Entweder gibt der Untergrund nach und Wasser quillt hervor, oder man muss aufpassen, dass man sich nicht in den Ästen verhakelt und stürzt.
„Ahh, hier vorn kommt wieder geschlossener Wald, da wird es sicher besser werden.“
Falsch gedacht, es ist die Wegstrecke auf der vermutlich das Holz abtransportiert wird. Selbst zwischen den Fahrspuren kann man kaum laufen, so aufgewühlt und schlammig ist der Untergrund. Was sind wir froh, als wir endlich wieder auf begehbare Wege kommen!
Bad Waldsee unsere Unterkunft haben wir „Beim Josl“ gebucht. Für Nichtraucher ist die Szenekneipe im ersten Augenblick nicht sehr einladend, denn es riecht sehr stark nach Zigarettenrauch. Wie sehr man sich doch daran gewöhnt hat, dass in den Restaurants nicht mehr geraucht wird.
Beim Einchecken in der Kneipe werden wir von den Gästen neugierig betrachtet. Naja, wir passen vermutlich auch nicht so sehr zu den anwesenden Gästen, die ich eher dem Rockermilieu zuordnen würde.
Wir sind dann doch ganz froh, dass wir unser Zimmer im ersten Stock über einen Hintereingang erreichen können. Auf der Treppe und im Treppenhaus begleitet uns immer noch der Geruch von kaltem Rauch. Kaum sind wir aber im Zimmer, dessen Fenster auf einen Innenhof gehen, verliert sich das gänzlich.
Nach dem ersten Eindruck hätte man nicht zu hoffen gewagt, dass wir so gut untergebracht sind. Das Zimmer ist sauber, Bad und WC über den Flur sind es ebenfalls. Alles ist gut und passt!
Ich bin wieder der erste, der die Dusche aufsucht. Sabine braucht nach dieser doch sehr anspruchsvollen Etappe erst einmal etwas Zeit, um anzukommen. Es waren nicht so sehr die 23km, die geschlaucht haben, die Wegverhältnisse haben es zur Anstrengung gemacht.
Zwei Zecken hat Sabine auch noch aufgelesen. Oder sind die noch von der Ried Wanderung am Vortag? Da gab es Unmengen davon, weshalb wir uns gegenseitig nach weiteren Plagegeistern absuchen. Doch es bleibt bei den beiden, die meine Frau beim Duschen entdeckt hat.
Ankunft in Bad Waldsee:
Tag 28: Die Nacht war gut und erholsam. Das Frühstück, beim Bäcker nicht weit weg vom Josl, hat uns gestärkt für die nächste Etappe. Auf geht’s nach Ravensburg.
Auf einer offenen Anhöhe wird zum ersten Mal der Blick auf schneebedeckte Alpengipfel frei. Leider ist die Sicht nicht so toll. Irgendwie liegt alles im Dunst.
Kurz darauf treffen wir auf eine Pilgerin, deren Tour bis Tettnang geht. Ein anregendes Gespräch zwischen Sabine und ihr entspinnt sich und wir kommen kaum noch voran. Jetzt wissen wir auch, von wem das von der Niederländerin in Oberdischingen empfohlene Quartier belegt ist. Die Gesprächspartnerin von Sabine hat vor uns angerufen.
Macht aber nichts, der Herr Hemm hat uns ja ein anderes Quartier vermittelt. Es ist immer wieder schön zu erleben, wie freundlich und hilfsbereit viele Menschen Pilgern gegenüber sind!
Ein Rastplatz – vielleicht für Pilger angelegt – lädt zur Pause ein.
Also, ein Hintergedanke von mir war, wenn wir sowieso nicht vorwärts kommen beim Schwatzen, können wir uns auch setzen. Vielleicht hat die Frau ähnliche Gedanken, denn sie verabschiedet sich, als wir unsere Rucksäcke abnehmen.
Bevor wir uns setzen lesen wir schmunzelnd den Spruch auf der Rückenlehne der Bank:
„Komm hock dr her, nimm dr dia Zeit, dr Weg bis Santiago de Compostela ischt no 2054km weit.“
Hm, nach meinen Berechnungen müsste es noch weiter sein, aber vielleicht gehen die Verfasser auch von dem etwas kürzeren Weg aus, der über Basel direkt nach Frankreich hineinführt. Überhaupt finden wir unterwegs immer wieder einmal Entfernungsangaben, die verwirren. Da verlasse ich mich doch lieber auf die Wanderführer und deren Angaben, die sich dann meist mit meinen GPS-Aufzeichnungen decken.
Weiter geht es bis Gambach. Ein Stück vor uns sehen wir die Pilgerin. Sie hat anscheinend in etwa das gleiche Tempo wie wir. Es steht aber eine Entscheidung an, weil es ab Gambach zwei Wegvarianten gibt. Die, auf der die Frau vor uns unterwegs zu sein scheint, bin ich vor 8 Jahren gelaufen. Ich weiß, es geht viel durch den Wald und es kommt auch ein größerer Anstieg hoch zu einer Kapelle. Die andere soll nicht so anspruchsvoll sein, allerdings auch nicht den schönen Ausblick von der Anhöhe aus bieten.
Wir entscheiden uns für letztere Variante, weil ich die auch noch nicht gelaufen bin. Auf gut begehbaren Waldwegen erreichen wir eine viel befahrene Straße, die wir queren. Danach geht es an der Wolfegger Ach entlang durch den Wald. Auf einem Stamm sitzend, der sich zur Pause anbietet, machen wir Rast und schrecken ganz schön zusammen, als nicht weit entfernt von uns ein starker Ast herab bricht.
Phuuu, erst mal gucken, ob das auch hier passieren kann. Nein, sieht alles gut aus, also Glück gehabt.
Ein Stückchen später führt uns die Ausschilderung von der Ach weg, an einem Kanal entlang, der etwas oberhalb des Bachlaufes durch den Wald führt. Gut läuft es sich hier, auch wenn wir weitere Ausschilderungen vermissen. Immer wieder einmal sehen wir aber zwischen den Bäumen den Weg, der ein Stückchen unterhalb von uns entlang geht, was uns Sicherheit gibt. Und wir sind richtig, an einer Weggabelung, wo es dann vom Kanal weg geht, finden wir wieder die Pilgerwegauszeichnung.
Ein Anstieg steht an. Erst durch einen Wald, wo die Wegführung wieder einmal zur Herausforderung wird. Bei einer lichten Strecke – vielleicht wurde in den letzten Jahren hier einmal Kahlschlag gemacht – müssen wir einen kaum sichtbaren Pfad durch hüfthohes Gras folgen. Glücklicherweise hat es an diesem Tag bisher noch nicht geregnet, sonst wären unsere Hosen bis in den Schritt durchnässt gewesen.
Nach dem Wald geht es dann über Feldwege bis nach Weingarten. Die immer wieder einmal drohenden Regenwolken verschonen uns aber glücklicherweise weiterhin.
Die Basilika von Weingarten ist eine wahre Sehenswürdigkeit. Leider ist ein großer Teil des Kirchenschiffes wegen Restaurierungsarbeiten verhüllt und wir können nur erahnen, wie schmuckvoll das Innere ist.
Es verlangt uns nach einer Pause, bevor wir die letzten 5km dieser Etappe angehen. Ein Café gleich neben der Basilika scheint uns gut dazu geeignet. Es gibt im Außenbereich Tische unter Sonnenschirmen, die uns vor dem kleinen Schauer schützen, der uns nun doch erwischt. Aber unserem Motto gemäß können wir dem Nass werden entgehen, während wir am Kaffee nippen und ein Stück Torte essen.
Der kleine Regenschauer ist vorbei und auf geht’s, über den Berg nach Ravensburg. Es geht zum großen Teil durch den Wald, daran erinnere ich mich noch gut. Auch, dass es durchgängig schöne breite Wege sind, deshalb übersehen wir auch eine Abzweigung und laufen circa 20m bis zu einer Weggabelung, an der wir keine Hinweisschilder finden. Also zurück und siehe da, es geht auf einem Trampelpfad durch dichten Wald weiter.
Die Wegführung wurde geändert, was mir spätestens am Waldrand klar wird, weil wir nicht an dem großen Grillplatz vorbeikommen, den ich vor 8 Jahren zu einer Rast genutzt habe.
Aber egal, wir sind gleich am Ziel, denn am Stadtrand von Ravensburg befindet sich das Privatquartier, in dem wir übernachten werden.
Die 25km Etappe haben wir heute unerwartet zügig gemeistert. Vielleicht lag es daran, dass wir die Variante gelaufen sind, die ohne große Steigung abging. Wie auch immer, wir sind daher ein bisschen vor der Zeit vor Ort, zu der uns die Gastgeber erwarten und auf unser Klingeln reagiert niemand.
Auf der angrenzenden Grünfläche fährt ein älterer Mann mit einem Rasentraktor seine Runden. Vielleicht ist es der Hausherr. Ich werde fragen.
Er ist es und will uns gleich einlassen, doch zwischenzeitlich kommt auch seine Frau und öffnet die Tür. Also alles gut!
Eine tolle Unterkunft haben wir für diese Nacht, nur das Abendessen fällt spartanisch aus. Dass wir keins von den Gastgebern bekommen wussten wir, hatten aber gehofft, irgendwohin essen gehen zu können. Die Auskunft, die wir erhalten, lässt uns allerdings davon absehen.
Das nächstliegende Restaurant wurde erst vor Kurzem von einem neuen Inhaber übernommen und der hat Preise, die wir nicht zahlen wollen. Ein Abendessen für 30 Euro pro Person ist uns doch etwas zu viel. Andere, preiswertere Möglichkeiten gibt es nur den Berg hinunter in Richtung Innenstadt. Doch 1 bis 2km hinunter und wieder hochlaufen wollen wir heute nicht mehr. Es bleibt bei zwei Bier, die wir bekommen und einem Haferriegel für jeden. Wir sind es trotzdem zufrieden und machen uns an die Planung der weiteren Übernachtungen.
Schnell erkennen wir, dass wir früher damit hätten beginnen müssen. Das Pfingstwochenende wird zur Herausforderung. Die angedachte Übernachtung auf halber Strecke zwischen Ravensburg und Meersburg ist nicht möglich. Wir können aber eine in Markdorf festmachen, was eine Etappe von circa 30km am nächsten Tag zur Folge hat. Sabine fürchtet sich davor, vor allem, weil die Wettervorhersage nichts Gutes erahnen lässt.
Was uns aber schockt sind die Kosten, die wir in Konstanz haben werden. Überall wo wir anrufen ist wegen Pfingsten belegt, oder die Anbieter sind selbst unterwegs. Mit Zähneknirschen buchen wir schließlich im Waldhotel das letzte freie Zimmer. Der Preis ist eigentlich sehr weit weg von dem, was wir für Übernachtungen ausgeben wollen und das drückt mich doch ganz schön runter.
Die Barkasse, die ich für unsere Tour angespart hatte, ist schon aufgebraucht und sollte eigentlich viel länger vorhalten. Die nächsten zwei Übernachtungen müssen wir daher schon vom Konto abbuchen lassen. Jeder warnt uns vor höheren Kosten in der Schweiz. Werden wir da mit unseren kleinen Renten auskommen, wenn wir weiter gehen? Ich bekomme Zweifel und spreche wieder einmal ein früheres Ende der Tour an.
Einsiedeln möchten wir aber auf jeden Fall erreichen, also weiterhin sehen, dass wir möglichst sparsam über den Tag kommen.