Das Regencape ist wieder gefragt

Oberdischingen und weiter

Erholt von einer ruhigen Nacht, mache ich gleich eine ärgerliche Entdeckung. Das starke Gewitter der Nacht, hat Spuren hinterlassen.
Im Halbschlaf höre ich, wie es donnert und der Regen gegen das Fenster gepeitscht wird. Denke allerdings nicht daran, dass ich am Abend das Fenster angekippt habe und einige meiner Sachen auf dem Fensterbrett liegen.
Jetzt sehe ich das Wasser, was es hereingedrückt hat. Meine Waschtasche schwimmt darin. Sie ist total durchnässt, genauso wie alles andere, was ich dort abgelegt und über den Heizkörper gehängt habe. Alles davon ist aus schnell trocknendem Material, doch ob die Zeit bis zum Aufbruch dazu reichen wird? Was bin ich nur für ein Depp! Ich wusste, dass es in der Nacht noch einmal zu Gewittern kommen kann und mache dann so etwas. Man kann Erfahrungen sammeln und so alt werden wie man will, Fehler macht man immer wieder!
So gut es geht, wringe ich die Sachen aus und hänge sie zum Trocknen über jede mögliche Ecke, bevor ich in den Waschraum gehe.
Als ich zurückkomme, zeigt mir Sabine ihre Schuhe. Auf den Innenseiten ist ein kleiner Riss oberhalb der Sohle zu erkennen. Jetzt wissen wir auch, warum sie am Vortag so schnell nasse Füße bekommen hat.
Während wir frühstücken, können wir durch die große Fensterfront beobachten, wie es weiterhin regnet. Anscheinend wird die Etappe heute nicht so prickelnd, sagt auch unsere Wetter App.
Zum Glück sind es nur um die 18km bis Oberdischingen, das werden wir schon irgendwie hinbekommen. Wegen der Kürze der Etappe bleiben wir nach dem Auschecken auch noch in der Lobby sitzen und hoffen auf Wetterbesserung.
Gegen 10:00Uhr geben wir dann auf. Der Regen hat zwar etwas nachgelassen, doch gänzlich aufhören wird er nach unseren Wetter-Apps zu urteilen nicht.
Was soll’s, Regencape überziehen und los.
Es ist gar nicht weit, bis wir aus der Stadt heraus in offenes Gelände kommen und trotz des Nieselregens von Joggern überholt werden. Die gehören sicher zu den ganz Harten.
So unangenehm wie uns sonst asphaltierte Wegstrecken sind, heute kommen sie uns recht. Wir sind froh, dass wir nicht durch hohes Gras oder Walddickicht laufen müssen.

Rückblick nach Ulm:

Rückblick

Wie schon so oft in den letzten Tagen, blicke ich mich ständig um, weil ich Sabine nicht davon laufen möchte. Sie nervt es, weil es was von Kontrolle hat und mich, weil es gerade mit der Kapuze des Capes auf dem Kopf nicht so gut geht.
Mit erklärenden Worten bitte ich sie, die Führung zu übernehmen, damit ich mich ihrem Tempo anpassen kann.
Es funktioniert leider nicht so wie gehofft. Als würde ich sie mit meinem Wanderstab antreiben, wird sie immer schneller, was ihrem Kräftehaushalt nicht zuträglich ist und wir wechseln wieder.

Der Regen lässt ein wenig nach, doch die nächsten dunklen Wolken drohen schon. Also bleibt das Cape, was sowieso noch nass ist, an und nur die Kapuze streifen wir zurück.
Schon fast die Hälfte der Strecke liegt hinter uns und es wäre Zeit für eine Pause. Durst plagt uns auch, aber den Rucksack abnehmen würde bedeuten, auch das Regencape auszuziehen. Keine so gute Idee, denn alles darunter ist durchgeschwitzt und wir würden sicherlich schnell frieren. Bleibt nur, sich so auf die Bank zu setzen und dabei möglichst die Schultern etwas zu entlasten.
Bei schönem Wetter wäre diese Raststelle sicher ein Highlight. Eine gut gepflegte Bank mit Blick hinab nach Einsingen, beschattet von Bäumen am Rande der Siedlung. Heute können wir die Rast nicht so genießen, denn es beginnt schon bald wieder zu Nieseln. Trotzdem essen wir unseren Haferriegel, denn wer weiß, wann wir die nächste Rast machen können.

Auf unserem weiteren Weg haben wir immer wieder einmal freie Sicht auf das Donautal. Auch in die anderen Richtungen, können wir oft weit ins Land blicken. Überall ziehen dunkle Wolken dahin, aus denen manchmal in dichten Streifen der Regen herabprasselt. Sie streifen uns glücklicherweise nur, aber das Cape bleibt weiterhin an.

Regenwolken

Oberdischingen kommt in Sicht. Durch kleine Lücken lugt ab und zu die Sonne heraus. Sollen wir, jetzt kurz vor dem Ziel noch das Cape ausziehen?
Naja, sieht nicht so aus, als würde es dauerhaft besser werden. Über den nächsten Hügel ziehen schon wieder dunkle Wolken auf und so verschwitzt wie wir sind, erkälten wir uns in der Zugluft vielleicht noch. Also bleibt es an.

Oberdischingen

Obwohl der weiterführende Weg, nach links abgeht, müssen wir durch fast ganz Oberdischingen laufen, um zum Cursillo-Haus St. Jakobus zu kommen. Aber egal, von meiner Pilgertour 2017 her weiß ich, dass wir hier ein sehr gutes Quartier bekommen.
Wir können es auch kaum noch erwarten, nach über 18km endlich den Rucksack von den Schultern zu bekommen. Es ist das zweite Mal auf dieser Pilgertour, dass wir ihn wegen Regen durchgängig über eine ganze Etappe getragen haben. Es geht schon mal zur Not, doch zum Standard sollte es nicht werden.

Die Tür steht offen und wir werden gleich von einer Hospitalera empfangen.
„Zieht erst mal eure nassen Schuhe und das Cape aus, dann bekommt ihr einen Willkommenskaffee“, sind ihre Begrüßungsworte.
„Vielleich sollten wir erst duschen, wir riechen sicher nicht so gut, so durchgeschwitzt wie wir sind.“ Sabine fühlt sich nicht wohl in ihrer Haut.
„Ach, dass macht nichts, ich weiß wie das ist“, entgegnet die Frau und drückt Sabine zur Begrüßung.
So richtig wohl fühlt sich meine Frau dabei nicht.

Unsere Capes hängen umgedreht – weil sie innen vom Schweiß klatschnass sind – an den Kleiderhaken. Die nassen Schuhe stehen darunter und wir erkennen, dass wir ein Problem bekommen. Der Riss in Sabines rechtem Schuh ist jetzt schon circa 6cm lang. Beim anderen ist es noch nicht so schlimm, aber weit kommt sie damit nicht mehr.

Riss im Schuh

Kaum sitzen wir im Speisesaal und nippen an unserem heißen Kaffee, beginnt es zu schütten. Die dunklen Wolken, die auf den letzten Metern immer näher kamen, werfen ihre Last ab. Vom Wind getrieben klatschen die großen Tropfen an die Scheiben. Was für ein Glück, jetzt im Trockenen zu sitzen!
Wieder einmal bewahrheitet sich unser Wahlspruch. Die ständig drohenden starken Regengüsse haben uns auf der Etappe nur leicht gestreift und erst jetzt zeigt die Natur, dass sie auch anders kann. Alles fügt sich!

Regen

Geduscht, in trockener Wechselkleidung, sitzen wir in unserem Zimmer und schreiben Tagebuch und Blog. Alles, was wir an diesem Tag anhatten, ist in der Waschmaschine des Hauses und die Sachen hatten es wirklich nötig. Draußen trieft alles vor Nässe, hier ist es warm und trocken. Es sind Glücksmomente wie diese, die uns zeigen, wir sind behütet.
Bei einem Telefonat mit meiner Schwägerin und meinem Bruder klären wir auch die nächsten Tage. Unser Wunsch, sie am Wochenende zu besuchen, wenn wir bei Ravensburg in ihrer Nähe sind, lässt sich nicht verwirklichen. Am Donnerstag fahren sie in unsere Heimatgegend, um bei einem Umzug zu helfen.
Wir alle finden das schade und der Gedanke, den Besuch vorzuziehen, gewinnt Oberhand. Vor allem, weil es eine gute Gelegenheit wäre, sich um neue Schuhe für Sabine zu kümmern.
Kurz entschlossen vereinbaren wir, dass uns mein Bruder bei unserem nächsten Etappenziel abholt und wir einen Ruhetag bei ihnen einlegen. Am Tag darauf fahren sie dann sowieso wieder in diese Richtung und setzen uns beim Pilgerweg ab. Klingt alles nach einer guten Idee. Wir freuen uns alle, da der letzte Besuch bei ihnen auch schon einige Jahre zurückliegt.

Nach dem Abendessen, was uns die Pilgerbetreuerin gezaubert hat, sitzen wir noch lange bei anregenden Gesprächen, im Speisesaal zusammen. Es bleibt diesmal auch nicht bei einer Flasche Bier. Meine Frau teilt sich noch eine zweite mit mir.
Ich finde es immer wieder interessant, sich mit erfahrenen Pilgern, wie der Hospitalera, auszutauschen. Die Niederländerin ist schon 75 Jahre alt und denkt noch lange nicht ans Aufhören. Also, das Alter sieht man ihr auch nicht an. Auch im Gespräch wirkt sie frisch und viel jünger.
Sie ist inzwischen Witwe, hat aber zu Lebzeiten ihres Mannes, mit ihm zusammen eine Pilgerreise bis Santiago gemacht. Von zu Hause aus sind sie über 5 Monate diese ganze Strecke gelaufen. Solche Berichte bewundern wir immer wieder.
Wie weit werden wir durchhalten? Es ganz zu schaffen, stellen wir inzwischen infrage und kommunizieren das auch so. Unser nächstes großes Ziel ist Konstanz, und wenn wir das erreichen Einsiedeln, dann sehen wir weiter.
Die Hospitalera wertet nicht, im Gegenteil, sie findet es sogar gut, dass wir es nicht auf Biegen und Brechen durchziehen wollen. Der Weg ist das Ziel und soll es auch bleiben!
Sie wird – wenn sie ihren Dienst am Wochenende beendet hat – von Oberdischingen bis nach Genf laufen, erfahren wir. Ich bin mir sicher, dass sie das auch schafft, so agil wie sie wirkt.

Tag 25: Es ist schon ungewohnt, wenn man so bedient wird von einer Hospitalera, doch bis auf Teller und Besteck zum Tisch bringen, lässt sie sich nicht helfen. Beim Frühstück setzen wir dann die Gespräche vom Vorabend fort. Es fühlt sich an, als würden wir uns schon Jahre kennen.
So ist es auch, als wir uns verabschieden. Sabine bekommt von ihr eine Blüte ins Haar gesteckt, bevor sie vor dem Haus noch ein Bild von uns macht. Die Umarmungen zum Abschied sind herzlich. Das ist richtiges Pilgerfeeling.

Vor der Herberge

Der Weg durch den Oberdischingen zieht sich, aber ich habe noch den Hinweis in den Ohren, dass wir erst am Ortsende eine Möglichkeit haben, über die Bundesstraße zu kommen. Vor 8 Jahren habe ich den nicht beachtet und musste dann über Leitplanken steigen, um auf die andere Seite zu kommen. Das soll uns heute nicht wieder passieren.
Ein vergilbter Muschelaufkleber weißt den Weg nach rechts. Wir folgen ihm, kommen an die Bundesstraße und sehen auf der anderen Seite einen weiterführenden Feldweg.
Hm, eigentlich sollten wir bei einer Ampel die B311 überqueren. Zurückgehen und nach einem anderen Weg suchen? Ach wird schon gehen, die Ausschilderung hat ja den Weg hier her gewiesen.
Hat sie aber mit Sicherheit nicht! Entweder, war es ein Aufkleber von einer überholten Wegführung. So etwas hatten wir ja schon öfter. Oder das Muschelsymbol war nicht wegführend geklebt. Es sollte ja so sein, dass die Strahlen dahin zeigen wo man herkommt und der Knoten in die Richtung, die man einschlagen muss.
Auf unserem bisherigen Weg mussten wir aber schon öfter feststellen, dass es nicht immer so gehandhabt wird. Es gibt Abschnitte wo auch Pfeile angebracht werden, wenn der Weg abbiegt, oder der Aufkleber ist auf einem Wanderwegschild angebracht, dass die Richtung angibt. Manchmal einfach nur ums Eck bei einem Laternenmast, was es dann am schwierigsten macht.
In diesem Fall war es vermutlich ein Aufkleber von der überholten Wegführung, worauf die Vergilbung hindeutet. Bevor es die Ampelkreuzung und den schönen Radweg an der Ersinger Straße gab, führte der Feldweg besser aus Oberdischingen heraus, jetzt ist es nicht mehr so günstig.
Wir bewegen uns durch kniehohes Gras, das vom Regen der Nacht noch klatschnass ist. Unsere Hosenbeine und Sabines Füße sind schnell wieder nass. Um auf den Radweg zu gelangen, müssen wir schließlich auch noch, als wir die Ersinger Straße überquert haben, durch den Grünstreifen dazwischen stapfen. Ein Umweg war es nicht, aber eine unnötig nasse Angelegenheit.
Ab und zu kommen auch ein paar Regentropfen. Nicht so schlimm, dass wir das Cape auspacken, aber den Rucksackschutz ziehen wir vorsichtshalber drüber. Eigentlich unnötig, wie wir im Laufe des Tages feststellen, doch Vorsicht ist eben besser.

Ein schöner Rastplatz:

Rastplatz

Beim nachfolgenden Bild sind wir davon ausgegangen, dass hier kürzlich ein Kind mit Namen Emma geboren wurde. Weit gefehlt, denn hier hat ein junger Mann seiner angebeteten Emma einen Liebesbeweis errichtet. :)


Liebeszeichen

Schemmerberg bringt dann eine Herausforderung der anderen Art. Damit meine ich nicht den sehr steilen Anstieg über einen Wiesenhang, hoch zum Ort, an den ich mich von meiner ersten Tour her noch sehr gut erinnern kann. Nein, die Herausforderung kam bei der Kirche, zu denen man ja meist geführt wird.
Die Straße vom Kirchberg hinab, wird gerade grundsaniert. Da ist kein Durchkommen möglich, zumal es auch ein Hohlweg ist, wo man nicht nach den Seiten hin ausweichen kann.
Also zurück zur Grundschule, an der wir kurz vorher Rast gemacht hatten. Die Schüler müssen ja irgendwie hier hoch gekommen sein. Laut Google Maps gibt es auch eine Straße, die von der Ortsmitte hochkommt. Allerdings weichen wir dann um einiges von der Wegführung ab. Naja, nützt ja nichts, also los.
Ein Fußweg, mit dem Hinweisschild – kein öffentlicher Durchgang – wäre eine Alternative, schneller auf den Pilgerweg zurückzukommen. Und da denkt doch tatsächlich jemand an die Pilger. Hier könnt ihr lang, sagt uns eine Notiz unter dem Schild.
Kinder spielen seitlich in einer Anlage. Ein Junge sieht uns und ruft: „Hallo Wanderer!“
Das Echo der anderen lässt nicht lange auf sich warten: „Wanderer … Wanderer … Hallo Wanderer …“, schallt es aus vielen Kindermündern.
Wir grüßen zurück und schmunzeln noch länger über die freundlichen Kinder. Es sind diese schönen Begegnungen, die das Pilgern zu etwas Besonderem machen.

Kurz vor Äpfingen – unserem heutigen Ziel – ziehen wieder dunkle Wolken auf. Die Wetter Apps sagen, es kommen Gewitter auf uns zu. Das noch weit entfernte Donnergrollen können wir schon hören.

Ein Bild und eine Trinkpause musste hier aber noch sein:

Pausenplatz

Wir beschleunigen unseren Schritt auf dem Weg durchs Ried und erreichen auch wirklich trocken die B30. Noch durch die Unterführung und schon sind wir im Ort. Weit müssen wir auch nicht mehr laufen, bis wir meinen Bruder sehen, der uns schon erwartet.

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