
Auf ins Nördlinger Ries
Alles ist über Nacht getrocknet, nur die Schuhe sind innen noch ein wenig klamm, was aber kein Problem sein sollte. Gleich nach dem Aufstehen öffnen wir im Zimmer alle Fenster. Anschließend frühstücken wir in einem Nebenzimmer. Die Brötchen von Gunzenhausen und Instantkaffee. Kein Schlemmermahl, aber auch so etwas geht.
Zurück im Zimmer stellen wir erfreut fest, der Geruch unserer nassen Kleidung ist fast verflogen. Die Fenster lassen wir trotzdem auf, sagen den Wirtsleuten aber Bescheid.
Keine Ahnung, ob mir der Regentag noch in den Gliedern steckt, aber heute geht es bei mir nicht so flott voran. Diesmal ist es Sabine, die das Tempo vorgibt.
Die Ausschilderung ist auch nicht so gut wie an den Vortagen und so landen wir ohne es zu merken auf der Variante. Die wollen wir aber sowieso laufen, weil sie uns etwas kürzer erscheint.
Jeder Tag hat halt seine Herausforderung, so auch dieser. Wir laufen einen schönen breiten Waldweg in mäßigem Gefälle bergab. Er wird immer schmaler und wendet sich im Talgrund nach links. Der Wegweiser des Jakobsweges zeigt aber auf einen Trampelpfad der geradeaus ins Nichts führt.
Ins Nichts stimmt eigentlich nicht ganz, denn es gibt eine baufällige Holzlattenbrücke, die schon auf einer Seite in den Bach hängt. Auf der anderen Seite dann gleich ein mannshoher Wildzaun. Ende des Weges!
Das Bachufer ist morastig und der Zaun zieht sich auf der anderen Seite in beiden Richtungen weit hin, bevor er auf Steilhängen nach oben strebt. Dichter Bewuchs und kaum begehbar, scheint das keine Alternative zum Ausweichen zu sein. Trotzdem sieht man zwischen Bach und Zaunrand einen kleinen Trampelpfad, der nach rechts und dann den Hang hinaufführt. Vermutlich sind schon andere Pilger hier gescheitert und dann der Einzäunung gefolgt. Mit Rucksäcken, zwischen hohen Brenneseln, stellenweise fast senkrecht ansteigen, scheint nicht erstrebenswert.
Nach rechts geht ein Weg weiter. Wenn ich das bei Google Maps aber richtig sehe, wird das dann ein riesiger Umweg. Nach links gibt es eine Schneise von Forstarbeiten. Erst mal dort schauen, ob wir da irgendwo über den Bach und dann den Hang hinauf kommen.
Meine Güte, ist das hier morastig und von der schweren Technik aufgewühlt. Ein Radfahrer Pärchen versucht es auch in unsere Richtung, kehrt aber schnell wieder um. Wir auch und tragen uns schon mit dem Gedanken, den großen Umweg zu laufen.
Die Radfahrer suchen nach einer Alternative im Handy und erzählen, dass es im Wildzaun einen zu öffnenden Durchgang geben muss, man aber mit dem Rad den Berg nicht hinaufkommt. Sie müssen den Hang weit umfahren.
Zaghaft wage ich mich auf die Brücke. Sie hält und tatsächlich kann man hier einen Durchgang öffnen, was man allerdings von der anderen Seite her nicht sieht. Mit mulmigen Gefühl folgt mir meine Frau, kommt aber auch gut rüber.
Jetzt erinnere ich mich auch daran, dass es vor acht Jahren hier schon Probleme gab. Die Brücke war da noch in Ordnung, der Zaun aber so weit heruntergedrückt, dass man mit etwas Mühe drüber steigen konnte.
Der Pfad durch den Wald ist steil und kaum sichtbar, aber wir finden am Waldrand dann eine weitere Stelle, wo man die Einzäunung verlassen kann. Noch fünf Schritte und wir landen auf einer Wiese. Nun wissen wir auch warum es hier so stinkt, denn sie ist frisch gegüllt.
Den Güllepfützen ausweichend geht es am Waldrand entlang, denn gleich hinter den ersten Bäumen ist ja der Zaun. Sind wir froh, als wir an einem Feldweg anlangen, der laut Ausschilderung der Pilgerweg ist.
Leider haben wir bei all der Sucherei vergessen Bilder zu machen.
Eine Pause wäre jetzt nicht schlecht, doch weit und breit keine Bank. Dafür gegüllte Wiesen und – wie sollte es anders sein – ein kalter Wind, der uns um die Ohren pfeift. Sonnig ist es schon, doch die Jacke muss immer anbleiben, selbst wenn man darunter schwitzt.
Dann kommt auch noch ein heftiger Anstieg, wo Sabine wieder einmal öfter stehen bleiben muss. Wir brauchen unbedingt eine Pause!
Vielleicht oben am Kamm, da stehen ein paar Bäume und einen Holzstapel gibt es auch. Wird schon passen.
Naja, zur Not ginge es, wenn man die Brenneseln heruntertritt und mit dem Wind leben kann. Wegen ähnlicher Erfahrungen laufe ich aber noch ein Stück allein weiter um nach einer besseren Möglichkeit zu suchen.
Und es gibt sie! Nur etwa zwanzig Meter muss ich gehen, bis ich seitlich in einer Senke, einen schönen Rastplatz finde, der auch noch gut vor dem Wind geschützt ist.
Es wird eine ausgedehnte Mittagspause, die wir im Sonnenschein sitzend genießen. Zwischen den jungen Bäumen können wir weit ins Tal, bis nach Hüssingen blicken.
Der weitere Weg bis nach Oettingen geht dann immer bergab oder eben dahin.
Der alte Braukessel vor Öttingen:

Dort erst einmal zum Quartier. Das alte Haus, direkt an einer Straßenkreuzung, macht nicht den Eindruck, als könne es mit unserer letzten Unterkunft konkurrieren.
Wie vereinbart rufen wir bei der Vermieterin an, die auch wenig später zu uns kommt. Im Eingangsbereich mit Treppenaufgang, stehen leere Bierflaschen.
„Die sind von den Bauarbeitern, die eine Unterkunft in der ersten Etage haben“, erfahren wir von der Frau.
Unsere Skepsis erweist sich als unangebracht. Das Zimmer ist sauber und liebevoll mit alten, aber schönen Möbeln eingerichtet. Auch eine kleine Küche und ein Bad gehören dazu, nur ein bisschen kalt ist es in dieser Erdgeschosswohnung. Die „historischen“ Gasheizer scheinen leider außer Betrieb zu sein. Aber wird schon gehen.
Wir werden sogar noch die drei Etagen hoch zu einer Dachterrasse geführt, die wir nutzen dürfen. Abends muss man da aber aufpassen, meint die Frau. Da fliegen dann die Störche, deren es viele in Oettingen gibt, tief ein zu ihren Nestern.
Naja, so schön warm, dass wir uns dort hinaufsetzten, wird es vermutlich später nicht sein.
Ich bin wieder der erste in der Dusche, während Sabine noch einmal per Mail versucht in Maihingen die nächste Übernachtung klar zu machen. Wenns nicht klappt werden wir dann gleich bis Nördlingen laufen, auch wenn sich Sabine vor den über 26km etwas fürchtet. Im Nördlinger Ries geht es aber fast nur eben dahin, versuche ich sie zu beruhigen. Trotzdem hofft sie noch auf Maihingen.
Als ich vom Duschen zurückkomme erfahre ich, dass zwischenzeitlich einer der Bauarbeiter zurückgekommen ist und an der Tür zu unserem Quartier gerüttelt hat. Zum Glück hatten wir abgesperrt. Was er hier wollte, wissen wir nicht, aber vielleicht die Küche oder die Toilette hier nutzen. Anscheinend ist die Tür offen, wenn die untere Wohnung unbelegt ist.
Nachdem Sabine auch geduscht hat, gehen wir die Stadt erkunden und gönnen uns, nachdem das gestrige Abendessen und heutige Frühstück sehr spartanisch war, eine warme Mahlzeit in einem Restaurant.
Sabine nimmt Jakobus bei der Hand: 🙂
Im Freien ist es angenehm. Nicht zu warm, nicht zu kalt. In der Wohnung hingegen, kommt man sich dann vor wie in einem Kühlraum. Ich sehe mir den Gasheizer näher an, stelle aber fest, dass kein Gas ankommt. Mal schauen, ob ich irgendwo den Haupthahn finde.
Die Strafe, hier eigenmächtig etwas in Gang setzen zu wollen, folgt sofort. Ich vergesse die Warnung der Vermieterin, dass die Türdurchgänge sehr niedrig sind und ramme mir heftig den Kopf auf.
Wieder einmal eine riesige Schramme auf meiner Platte. Seit da keine Haare mehr sind, passiert das öfter. Man sieht es auch jedes Mal sehr schön, was schon öfter für Kommentare gesorgt hat, die mich dann doch etwas geärgert haben.
Ohh brummt mir der Schädel und kalt ist es immer noch. Wir ziehen uns etwas über, schreiben Tagebuch und Blog und kriechen sehr zeitig unter die Decke. Es könnte ruhig langsam mal wärmer werden.
Tag 18 unserer Pilgerreise: Auf geht’s durchs Nördlinger Ries. Wir frühstücken wieder einmal in einer Bäckerei und holen dann erst unsere Rucksäcke aus dem Quartier.
Das Stadttor durch das wir Öttingen verlassen:
Eine Antwort von Maihingen steht immer noch aus weshalb wir bei einem Nördlinger Hotel anfragen. Wir können das letzte freie Doppelzimmer bekommen, was wir auch gleich für zwei Tage buchen. Der Folgetag soll ganztägig verregnet sein und schon wieder einen kompletten Tag im Regen laufen erscheint uns als nicht erstrebenswert.
Wie sich auch im weiteren Verlauf unserer Reise zeigen soll, passt unser Motto wieder einmal perfekt, denn alles fügt sich.
Vom Kloster Maihingen bekommen wir im Laufe des Vormittags eine Absage. Wir hätten einen Tag vorher buchen müssen, hatten aber erst nach 12:00Uhr dort angerufen und die Bürozeiten enden zur Mittagszeit. So wie es jetzt ist, erscheint es aber auch Sabine als besser, denn auf den Ruhetag freut sie sich schon. Wir können dann unsere müffelnde Kleidung wieder einmal waschen und gehen dem Regentag aus dem Weg.
Ursprünglich wollten wir mit den zwei kürzeren Etappen durchs Ries Kraft für die nächsten Tage sammeln, weil es dann immer weit über 20km sein werden. Der Tag Pause wird den gleichen Effekt haben und die 26km durchs ebene Ries sollten zu schaffen sein. Besonders Sabine startet daher beschwingt in den Tag.
Unsere erste Pause machen wir in Heuberg. Bänke auf einer grünen Insel neben der Straße laden dazu ein. Ein Auto biegt in eine Seitenstraße ein, hält und der Fahrer sucht das Gespräch mit uns. Er ist sehr an unserer Pilgertour interessiert und fragt, wie weit wir vorhaben zu gehen. Hat Sabine anfänglich immer noch von Santiago als Ziel gesprochen, haben wir das in den letzten Tagen relativiert. Wir setzen uns jetzt Zwischenziele und wenn wir das erreicht haben, sprechen wir vom nächsten.
Unser vorläufiges Ziel ist Konstanz und wenn wir bis dahin kommen, wird es Einsiedeln werden. Das sagen wir dem Mann auch so und er ist begeistert. Als er sich verabschiedet sagt er, ich solle ihn doch zum Auto begleiten, er hätte etwas Wegzehrung für uns. Ich will schon ablehnen, möchte sagen, wir brauchen nichts, aber er ist so voller Enthusiasmus, dass ich davon absehe.
Die Wegzehrung entpuppt sich dann als zwei Miniausgaben des Neuen Testaments, die er aus seinem Handschuhfach kramt.
„Eine reicht, wir laufen ja zusammen und es ist alles Gewicht, was wir tragen müssen“, kann ich es relativieren.
Ob wir jemals darin lesen werden? Die superkleine Schrift motiviert da nicht so sehr.
Weiter geht’s, aus Heuberg hinaus. Wir kommen an einigen Ruhebänken vorbei. Eine davon hat die Familie des Mannes am Rande ihres Feldes aufgestellt, der mir die „Wegzehrung“ gegeben hat. Sie sind den Pilgern sehr verbunden!
Ein kleiner Gemüsegarten inmitten der Felder:
In Maihingen entschließen wir uns das Kloster aufzusuchen, obwohl wir nicht dort übernachten werden. Es bedeutet zwar, dass wir eine große Schleife durch den Ort laufen müssen, aber ich schwärme so von der sehenswerten Anlage, dass Sabine einverstanden ist.
Wieder einmal habe ich den Weg dorthin anders in Erinnerung, aber es kann auch sein, dass er verändert wurde.
Es ist kurz vor 12:00Uhr und wir holen uns im Büro noch einen Stempel. Die Sprache kommt auf die Übernachtung und wir erfahren, dass sie immer etwas Vorbereitungszeit brauchen, weil sie jetzt auch Flüchtlinge beherbergen.
Nicht so schlimm, wir sind ja mit unserer neuen Planung sehr zufrieden, einen Platz für eine ausgedehnte Mittagspause finden wir aber im Außenbereich.
Das Kloster und vor allem die Kirche sind wirklich eine Besichtigung wert, findet auch Sabine. Was für prunkvolle Anlagen damals doch errichtet wurden. Kein Wunder, dass die ausgepressten Bauern dann revoltiert haben.
Um Maihingen zu erreichen führt der ausgeschilderte Pilgerweg in westliche Richtung, danach schwenkt er nach Süden ab.
Das Ries ist stark landwirtschaftlich geprägt. Wälder sind im Inneren kaum zu finden und wenn dann nur ganz kleine Flächen. Fast bretteben geht es durchs offene Gelände auf Wallerstein zu. Ein größerer Hügel, der aus der Landschaft heraus sticht und der Hauptsitz des gleichnamigen Fürstenhauses. Eine Sehenswürdigkeit, die auf dem Pilgerweg natürlich mitgenommen wird.
Was wir auch sehr bewundern sind die kunstvoll bearbeiteten Maibäume, die hier gestellt werden. Jeder Fichtenstamm wird mit einem anderen Muster und Schriftzügen verziert, die aus der Rinde herausgeschnitzt werden. Eine wahnsinns Arbeit bei den über zwanzig Meter hohen Bäumen.
Kurz vor Wallerstein machen wir in einem kleinen Dorf noch einmal Rast. Eine Bank neben einem Wasserspiel lädt uns dazu ein. Als wir gerade die Rucksäcke wieder aufnehmen, fährt eine Frau mit dem Fahrrad beim angrenzenden Haus vor. Sie spricht uns sofort an, weil sie das Pilgern sehr bewundert.
„Wollt ihr einen Kaffee oder soll ich eure Wasserflaschen auffüllen?“, fragt sie uns.
„Wir haben gerade Pause gemacht und wollen weiter. Wasser haben wir auch noch genug“, geben wir zurück.
„Einen Kaffee bekommt aber jeder Pilger von mir, der hier vorbei kommt“, antwortet sie fast ein wenig enttäuscht.
Die Pause noch weiter ausdehnen ist nicht in unserem Sinn, denn es liegt ja noch ein bisschen Weg vor uns. Einem kurzen Schwatz können wir uns aber nicht entziehen.
War es vielleicht unfreundlich, das Angebot abzulehnen, frage ich mich als wir weiter gehen?
Fürstensitz Wallerstein:
Nach Wallerstein können wir Nördlingen schon sehen und doch sind es noch einige Kilometer bis dorthin. Obwohl wir schon über die 20km Marke hinweg sind, hält Sabine noch gut durch. Wenn keine großen Steigungen dabei sind ist es nicht so schlimm, auch mal eine längere Etappe zu laufen. Oder liegt es am Wissen um den Pausentag?
Nach 26,4km erreichen wir das Hotel in Nördlingen und checken ein.