Schnatternde Begleiter

Die nächste Etappe wird mit nur 15,4km die bisher kürzeste. Geplant war sie bis Igensdorf, um bei unseren Wunschetappen von 20-25km zu bleiben. Da wir aber dort kein Quartier bekommen konnten, geht es diesmal nur bis Gräfenberg. Wir müssen daher auch unsere ganze Etappenplanung überarbeiten und haben noch nichts für die nächsten Tage festmachen können.
Aber, alles wird sich fügen.

Unser Weg führt uns über Hilpoltstein bis nach Gräfenberg. Zum großen Teil sind es malerische Waldwege, denen wir folgen und das Wetter meint es auch sehr gut mit uns. Das erste Mal seit Tagen weht kein kalter Wind. Ich brauche keine Jacke!

Hilpoltstein hat eine imposante Burg, die hoch über der Stadt thront. Da wollen wir nicht hinaufsteigen, aber zu der sehenswerten Kirche, in der ich mir 2017 einen Stempel geholt hatte, steigen wir hinauf. Laut Infotafel soll sie offen sein, sie ist aber verschlossen.
Schade, ich hätte gerne Erinnerungen aufgefrischt und mit Sabine geteilt.

Hilpoltstein

Auch ohne den Kirchenbesuch drängt vieles von meiner Tour von vor acht Jahren wieder in Gedächtnis. Auf dieser Etappe stand damals die Fortsetzung des Weges auf der Kippe.
Da gibt es diese Stelle, wo der Weg in den Wald mündet. Ich saß auf einem Stein und habe frustriert mit einem Familienmitglied telefoniert. Nichts hat sich verändert, oder wuchsen damals hier weniger Brennnesseln?
Egal, ich habe noch deutlich vor Augen, wie die zwei Pilgerinnen vorbeikamen, meine Gemütslage erkannten und mir Mut zusprachen. Wir sind dann ein Stückchen zusammen gelaufen, bis wir uns an einer Stelle uneinig über die Wegführung waren. Nach ihrem Wanderführer sollte es nach rechts gehen, meine GPS-Tracks sagten, wir sind schon neben dem Weg und müssen geradeaus.
Tja, die Wegführung hatte sich geändert, die GPS-Tracks noch nicht. Ich lief einen Umweg und ärgerte mich über mich selbst, was damals nicht gerade meine Laune besserte.
Ich konnte die zwei Frauen immer wieder einmal vor mir laufen sehen. Sie liefen bewusst langsamer, damit ich sie einholen könnte. Aus Ärger über mich selbst hielt ich jedoch den Abstand.
Diesen Wegabschnitt erkenne ich genauso wieder, wie die Kirschbaumplantage, auf der gerade polnische Pflücker ernteten. Ich bekam ein paar zum Naschen und ein kleines Stück weiter kam ich den zwei Damen auf Rufweite nahe. Sie hatten Rast gemacht, sahen mich, winkten und meinten, ich könne ruhig wieder aufschließen. Es gäbe keinen Grund sich abzukapseln.
Sich einigeln und im Selbstmitleid oder Ärger suhlen, eine meiner schlimmsten Unarten, in die ich auch jetzt immer wieder gerne verfalle. Man sollte denken, im Alter wird man gelassener, doch manches kann man anscheinend nur schwer ablegen.

Bis Gräfenberg sind wir dann damals zusammen gelaufen. Jetzt stehe ich mit meiner Frau vor dem Kriegerdenkmal und blicke auf die endlos erscheinende Treppe, die hinunter in die Stadt führt. Der Blick über Gräfenberg und die sonnenbeschienene weite Landschaft deckt sich mit den Eindrücken von vor acht Jahren.

Treppe Gräfenberg

Die „Pizzeria La Grotta“, an der wir im weiteren Verlauf vorbeikommen, hatte die zwei Frauen zu einer Einkehr animiert und unsere Wege trennten sich endgültig.
Ich habe das Bild des gut besuchten Außenbereiches von damals noch in Erinnerung. Diesmal herrscht aber Stille hier. Montags ist Ruhetag.

Das Stadttor von Gräfenberg:

Stadttor Gräfenberg

2017 bin ich dann noch bis Kalchreuth gelaufen. Habe also eine Etappe von knapp 40km bewältigt. Diesmal übernachten wir in Gräfenberg und sind aufgrund der kurzen Etappe sehr zeitig vor Ort.
Es bleibt Zeit, die schöne Altstadt zu erkunden, die Kirche zu besuchen und uns einen Stempel zu holen. In einer Bäckerei gönnen wir uns Kaffee und Kuchen, werden dafür aber das Abendessen ausfallen lassen, um nicht schon wieder in einem Restaurant unsere Reisekasse überzustrapazieren.
Die Etappenüberplanung gestaltet sich schwierig. Überall, wo wir anrufen gibt es Absagen, oder wir sprechen nur auf den Anrufbeantworter. Wenn wir keine Rückmeldung erhalten, wird es am Tag darauf vermutlich nur bis Kalchreuth gehen und von dort aus mit dem Zug nach Nürnberg. In der Nürnberger Jugendherberge sollte es auf jeden Fall ein Nachtlager geben.
In unserem Zimmer schreiben wir Tagebuch und Blog, wo ich auch die Quartierprobleme erwähne. Es dauert gar nicht lange, bis wir von unserer Schwiegertochter das Angebot bekommen, uns in Kalchreuth abzuholen, damit wir bei ihnen übernachten können. Sie wohnen zwar unterhalb von Nürnberg, durch die Autobahnanbindung wäre sie aber schnell da, meint sie.
Alles fügt sich also! Wenn wir keine Rückmeldungen von den Anfragen bekommen, werden wir das Angebot annehmen.

Tag 11: Gestärkt nach einem guten Frühstück brechen wir frohgemut in Gräfenberg auf. Es ist ja alles in Butter. Sollte sich nicht doch noch unverhofft jemand auf unsere Anfragen melden, übernachten wir bei Schwiegertochter und Sohn, die uns dann am nächsten Tag auch wieder auf die Strecke bringen.
Aber meist kommt es anders, als man denkt!

Der Blick zurück nach Gräfenberg und da ist die Welt noch in Ordnung:

Gräfenberg

Die letzten Häuser von Gräfenberg liegen noch nicht weit hinter uns, als wir vor einer Wegsperrung stehen. Forstarbeiten, man sieht es auch an den tiefen Fahrrinnen.
Was tun? Wir kennen uns nicht aus und sehen auch keine Wegalternativen. Von den Arbeiten hört man auch nichts und selbst die Schnittstellen an den Baumstümpfen sehen nicht frisch aus. Sollen wir es drauf ankommen lassen und weiter gehen?
Wir machen es, immer lauschend, ob etwas von den Arbeiten zu hören ist.
Die Wege sind ausgefahren und es ist oft nicht erkennbar, in welcher Richtung wir weitergehen müssen. Wegweiser suchen wir auch vergebens. Welch Wunder, plötzlich stehen wir mitten im Wald und müssen umkehren.
Die Forstarbeiten scheinen schon länger beendet zu sein, nur die Polter sind noch nicht alle abgefahren. Als uns eine Frau mit Hund entgegenkommt, werden wir auch ruhiger und doch sind wir erleichtert, als wir den Wald hinter uns haben.
An der Waldgrenze – es geht immer bergauf – gibt es auch wieder ein Muschelzeichen. Immer geradeaus auf einem schönen Feldweg.
Ein Landwirt mäht eine große Fläche für Heu oder Silage. Abzweigungen sind nicht zu sehen, oder auf freier Fläche ohne Wegweiser. Nach einem knappen Kilometer erreichen wir die nächste Ortschaft, wo wir dann doch stutzig werden, weil immer noch keine Wegweiser zu finden sind.
Ins Gespräch vertieft hatte ich auch nicht die GPS-Tracks zu Rate gezogen. Bei einem Blick aufs Handy verschlechtert sich meine Laune schlagartig. Wir müssen zurück, haben den Weg schon lange verlassen!
An einer baumbestandenen Spitzkehre finden wir dann einen Wegweiser, der aber aus Richtung Gräfenberg nicht zu sehen ist. Also soll bedeuten, nur zu sehen ist, wenn man sich ganz aufmerksam umschaut. Zwei Kilometer – grob geschätzt – für die Katz und wieder bergab fast in die gleiche Richtung, aus der wir von der Stadt her gekommen sind.
Irgendwie kommt mir das bekannt vor und ich erinnere mich, dass ich vor acht Jahren an dieser Stelle auch Probleme hatte auf dem Weg zu bleiben.
Wir folgen dem kaum sichtbaren Pfad, bis er wieder in den Wald hineinführt.
Moment mal! Damals bin ich da auch ewig einen Hohlweg hinunter gelaufen und musste dann zurück. Was sagen die Tracks eigentlich?
Wir sind schon wieder von Weg abgekommen, müssten eigentlich schräg über die Wiese auf eine eingezäunte Kirschbaumplantage zugehen.
„Arrrg, ich krieg ne Krise!“, und das ist nur das Entschärfte, was ich so von mir gebe.
Was folgt ist für mich Ärger pur. Hin und her. Um den eingezäunten Bereich herum. Wegweiser suchen und keine finden. Den GPS-Tracks folgen, aber keinen Weg erkennen. Mehrfach auch warten, weil der Landwirt mit seinem großen Schwadmäher uns sehr nahe kommt. Einen Waldweg finden, der aber nicht dorthin zu führen scheint, wo die GPS-Tracks die Strecke anzeigen. Schließlich durchs dichteste Unterholz stolpern, weil danach laut GPS ein Weg sein müsste.

Suchbild: Findet den kleinen blauen Punkt. Das bin ich mit meinem Rucksack, als ich mich durchs Unterholt kämpfe.

Dickicht

Phuuu geschafft, wir finden sogar wieder Pilgerwegweiser, und welche, die zu einer örtlichen Sehenswürdigkeit, dem „Teufelstisch“ führen.

Weg gefunden

Jetzt erst mal eine Pause auf der Bank, die sich unterhalb des „Teufelstisches“ befindet. Ich bin immer noch geladen wie eine Haubitze. Sabine hingegen macht sogar noch Späße.
Stimmen von da, wo wir herkamen.
„Ach Menno, mir ist gerade so gar nicht nach Begegnungen und Gesprächen“, denke ich und da kommt auch schon eine Frau, begleitet von zwei älteren Männern, den Weg herauf.
Na gut, ich gebe mich mit mir und dem Handy beschäftigt, in der Hoffnung, sie gehen vorbei.
Da habe ich dann aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Es ist die Moderatorin eines lokalen Radiosenders mit zwei Wanderwegbetreuern. Wir scheinen ihr gerade recht zu kommen, um den Beitrag über diesen besonderen Wanderweg aufzupeppen und werden umgehend von der Frau angesprochen.
„Ah, da sind ja auch zwei Wanderer, die wir gleich fragen können, wie ihnen dieser Sagen-Weg gefällt.“
Freundlich lächelnd blickt sie uns an, während die Männer eher zu spüren scheinen, dass wir dafür vermutlich nicht die richtigen sind. Also der eine zumindest, der andere ist mehr so der stille Mitläufer.
„Ach, wir sind Pilger und von dem Sagen-Weg wissen wir nichts“, versuche ich die Sache abzuwürgen.
Eine Moderatorin lässt sich aber nicht so einfach ausbremsen, muss ich gleich erkennen.
„Na das passt doch aber gut, wenn Sie auf Ihrer Reise auch solche Attraktionen näher kennenlernen. Außerdem können Sie auf jeden Fall etwas zum Wanderweg hierher sagen.“
Tja meine Gute, da hast du mich auf dem falschen Fuß erwischt.
„Wäre vermutlich nicht so gut, weil wir gerade ein bisschen frustriert sind. Mehrfach sind wir vom Weg abgekommen. Haben keine Markierungen gefunden und sind durchs Gelände gestolpert.“
Ich gebe mir Mühe meinen Ärger nicht zu aggressiv rüberzubringen. Die Männer begreifen es gleich, die Frau aber nicht so gut. Sie sieht es vermutlich als Pluspunkt, Wanderer auf dem Sagen-Weg getroffen zu haben. Den Stillen habe ich aber mit meiner Aussage getroffen.
„Ich bringe ständig neue Markierungen an, aber die werden immer wieder entfernt. Es ist zum Heulen und ich geb’s langsam auf.“
„So kannst du es aber nicht sehen und Aufgeben geht gar nicht“, versucht der andere Mann ihn zu beruhigen.
Oh je, da hab ich ja was angerichtet.
„Es lag vermutlich auch daran, dass ich mich an den GPS-Tracks orientiert habe, als keine Markierungen mehr zu finden waren. Die führten aber quer über eine Wiese und durch einen eingezäunten Bereich“, versuche ich mich im Relativieren.
„Ach daher“, nimmt der gesprächiger den Faden wieder auf. „Das liegt an dem Landwirt, der die Flächen dort bewirtschaftet. Der wollte nicht mehr, dass Wanderer durch sein Areal gehen und wir mussten die Wegführung verändern. Ob er es ist, der jetzt immer noch die Markierungen entfernt, oder Randalierer, ist nicht zu sagen. Folgt man dem Weg nach unten in den Wald und dann rechts weg wieder hoch, kommt man über einen Bogen trotzdem gut hierher.“
Dumm gelaufen! Wir hätten also nach der Spitzkehre nur noch ein Stück nach unten gehen müssen und uns einiges erspart. Da ist vieles zusammengekommen, was ich mir auch selbst auf die Fahne schreiben muss.
„Wollen wir jetzt hoch zum Teufelstisch gehen?“, fragt der Wortführer die Moderatorin, weil er vermutlich merkt, dass bei uns nichts zu holen ist.
Die gibt aber nicht so schnell auf, zückt das Aufnahmegerät und hält mir das Mikrofon entgegen.
„Aber zu dem letzten Stück des Weges und den Besonderheiten hier, können sie doch was sagen. Ihre Namen werden auch nicht erwähnt“, versucht sie mich zu ködern.
Ich will nicht unfreundlich sein und es tut mir auch leid, dass der „Stille“ jetzt so einen geknickten Eindruck macht, wegen den fehlenden Markierungen.
„Naja, zum Sagen-Weg kann ich nichts beitragen, wir haben ja durch Sie erst etwas davon erfahren. Der Buchenwald hier und die wildromantische Umgebung haben aber schon was Besonderes.“
Ich stottere noch irgendwas zusammen, aber die Moderatorin scheint zufrieden damit zu sein. Der Wanderwegbetreuer nicht so ganz. Er hebt die Highlights des Weges noch einmal besonders hervor. Redet uns auch sehr ins Gewissen, ja die romantische Tour abzulaufen, damit wir auch am Teufelsfinger vorbeikommen. Von da hat man einen wundervollen Blick über das Land, teilt er noch mit, bevor die drei dann endlich weiter gehen.
Eigentlich steht uns nach der Odyssee der letzten Stunde nicht der Sinn nach einer romantischen Strecke. Lieber wollen wir dem ausgeschilderten Pilgerweg weiter folgen, um nicht noch einmal vom Pfad abzukommen. In Sichtweite stehen allerdings die drei an der Felsformation des Tisches. Also gut, dahinter scheint ja wieder ein Pfad nach unten auf den Pilgerweg zu gehen. Nehmen wir wenigstens das noch mit.

Auf Abstand zur Gruppe bleiben wir kurz stehen, machen ein paar Bilder und wollen auf der anderen Seite wieder nach unten gehen.
„Nein, Sie müssen dem Pfad nach oben folgen!“ Der Wanderführer möchte einfach nicht, dass uns ein weiteres Highlight entgeht. „Glauben Sie mir, es ist kein großer Umweg und sie kommen dann auch wieder auf den Pilgerweg. Den Teufelsfinger müssen Sie auf jeden Fall sehen und den Ausblick genießen.“
Uns was machen wir? Wir sind folgsam!

Zur Ehrenrettung des Sagenweges muss ich aber festhalten, dass es sich wirklich lohnt bis zum Teufelsfinger zu gehen. Der Blick ins Land ist die Mühe auf jeden Fall wert. Leider kann ich das den Dreien nun nicht mehr sagen.

Teufelsfinger

Nur der Pfad von dort nach unten zum Pilgerweg mit unserem schweren Rucksack ist dann ein bisschen beschwerlich. Aber so ist das halt, wenn man die romantische Tour läuft.

Ich bin mir nicht sicher ob es da schon passiert, dass Sabines Stimmung kippt, oder erst als wir uns noch einmal verlaufen.
Wir haben wieder einmal einen Wegweiser übersehen, aber meine Frau hakt jetzt ständig nach, ob wir noch richtig sind. Sind wir nicht und müssen zurück, doch es ist nicht weit.

Waldweg

Aber wir sind ja noch nicht am Ziel und es kommt das, was Sabine den Rest gibt.
Keine Ahnung warum, aber der Wegbetreuer hat es im weiteren Verlauf etwas gut gemeint mit der Führung durch die Natur. Nur circa drei Meter neben einem breiten Waldweg führt die Ausschilderung auf einem Trampelpfad durchs Unterholz. Aus Furcht, wir könnten vom Weg abkommen, weil er nach der Seite abbiegt, folgen wir der Ausschilderung über Stock und Stein. Das gibt meiner Frau den Rest!
Von da an kann sie die Schönheit der Natur nicht mehr genießen. Es sind wirklich schöne Landschaften, die wir bei bestem Wetter durchwandern. Ich habe mich wieder gefangen, doch Sabine nimmt kaum noch etwas davon wahr. Sie schleicht dahin, fragt ständig, ob wir noch richtig sind und möchte nach dieser Erfahrung am liebsten abbrechen.

Vor Kalchreith

Vier Kilometer mehr als nötig sind wir gelaufen. Doch das ist es nicht, was runterzieht. Das hin und her, die Unsicherheit ist es, die einen eigentlich schönen Tag zum Desaster machen kann.
Wir sind froh, dass wir in Kalchreuth von unserer Schwiegertochter abgeholt werden und sehen davon ab, noch wie angedacht, bis zum Ort danach zu gehen. Knapp dreiundzwanzig Kilometer sind es trotzdem geworden.

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