
Ist der Weg das Ziel, oder ist es das Ziel an sich?
Für uns soll es der Weg sein. Wir wollen ihn laufen, so lange es die Gesundheit zulässt und wir Freude am Laufen haben!
Geboren wurde die Idee 2016 oder vielleicht auch schon 2015, als ich mit den ersten Zeilen zu „Jobst von Wüstenteich“ begann. Ich fragte mich, wie ist es, diesen Pilgerweg zu laufen? Wie lange braucht man? Was wird man erleben?
Pilgern in der Zeit der Geschichte ist natürlich nicht vergleichbar mit Pilgern heute und doch wollte ich es nachvollziehen können. Heute kann ich nicht mehr genau sagen, wie es sich alles entwickelt hat, aber es stand dann fest, 2017 wird das Jahr, in dem ich/wir es ausprobieren.
Am 01.05.2017 starteten wir – meine Frau Sabine und ich – unsere erste Pilgertour. Der Pilgerweg „Via Regia“ in Deutschland sollte zum Einstieg werden. 🙂
Naja, wie das halt so ist bei Neulingen, die vielleicht auch ein wenig naiv herangegangen sind, wir haben da jede Menge Fehler gemacht.
Mein Rucksack war, wenn ich mich recht erinnere, mit gefüllten Wasserflaschen ca. 17kg schwer und ich hatte Dinge drin, die ich heute auf keinen Fall einpacken würde. Der von Sabine war auch zu schwer und auch ungeeignet für so eine Tour. Zusätzlich hatte sie noch eine kleine Umhängetasche mit, weil nicht alles reinging.
Bei dieser Tour war die Zeit noch begrenzt, weil wir ja noch im Arbeitsleben standen und wir hatten gehofft, vielleicht bis Freyburg oder Naumburg zu kommen. Ortseingang Leipzig war dann schließlich das Ende dieser Tour. Das lag nicht an der fehlenden Zeit, denn wir hätten noch ein paar Tage gehabt. Es lag an mir. Zu Hause gab es Probleme, die mich beschäftigt haben und ich hatte einfach keine Ruhe mehr. Inzwischen weiß ich aber auch, dass es noch einen anderen Grund gab. Es war der neunte Tag und dieser Tag ist der Kipppunkt bei mir.
Irgendjemand hat uns mal gesagt, jeder hat einen Punkt auf so einer Pilgerreise, wo er alles infrage stellt. Bei den meisten soll es der vierte Tag sein. Bei mir ist es der neunte Tag.
Trotzdem habe ich mich entschlossen 2017 eine noch größere Tour zu starten, zu der unsere Tour im Frühjahr der Test sein sollte. Das Pilgervirus hatte mich da wohl schon erwischt.
Am 02.07.2017 bin ich von zu Hause aus zu der Reise gestartet, die wir auch dieses Jahr vorhaben. Ziel nicht genau definiert, aber soweit wie möglich in Richtung Santiago de Compostela. Diesmal allein.
Auch hier gab es wieder diesen neunten Tag, wo ich aufgeben wollte, aber schließlich durch Hilfe und Motivierung aus der Familie doch bis Meersburg am Bodensee durchgezogen habe. 660km in 19 Tagen.
Allein zu Laufen hat für mich aber einen Nachteil gehabt. Da war das Kilometerschrubben mein Ziel und ich habe sicher viel Sehenswertes verpasst. Genau deshalb freue ich mich jetzt darauf, diese Strecke noch einmal zu gehen, weil ich jetzt ein paar Jahre älter bin und nicht mehr so viele Kilometer am Tag schaffe und weil Sabine mitgeht. Sie animiert mich dazu, das Ganze auch zu genießen, so wie es sein sollte.
Allerdings war das Kilometerschrubben eine Erfahrung, die mir bei dem Buch um „Jobst“ zugutekam. Ich konnte besser einschätzen, wie lange man brauchen könnte, wenn man jeden Tag nur läuft, um das Ziel zu erreichen.
In den Jahren danach gab es einige gesundheitliche Tiefschläge in der Familie, sowie die Coronazeit und wir konnten erst 2022 wieder ans Pilgern denken.
Im August 2022 wollten wir die „Via Regia“ weiter gehen. Geplant bis Vacha, weil wir aber zwischen Eisenach und Vacha kein Quartier mehr gefunden haben, entschlossen wir uns, in Eisenach abzubrechen.
Auch hier lag das vermutlich wieder ein bisschen an mir. Ich habe Sabine zu viele Kilometer am Tag zugemutet und dadurch ist bei ihr die Motivation gesunken.
Jetzt nach meiner Zeit mit Darmkrebs, einigen OPs und einem halben Jahr mit Stoma, bin ich in der Richtung ruhiger geworden und meine Sabine wird mir vermutlich davonlaufen. 🙂
Nein, im Ernst jetzt. Ich fühle mich nicht mehr so fit, diese Tagesetappen zu laufen wie noch 2022 und das ist gut so! Es wird unsere geplante Tour bereichern, dessen bin ich mir sicher!
Also, am 10.05.2025 geht es los und wir freuen uns darauf.
Ist das Pilgern? (Tag 1 und 2)
„Ich dachte, ihr seid schon unterwegs?!“, werde ich zum wiederholten Male an diesem Abend gefragt.
„Nein, wir starten erst am 10.05., weil wir für den 09.05. noch Karten für ein Konzert haben.“
Die Fragerei nervt mich. Warum nur haben wir es so vielen gesagt, was wir vorhaben? Es steht ja nicht einmal fest, dass wir durchhalten. Bis Santiago de Compostela pilgern in unserem Alter, mit unserer Vorgeschichte, was für eine bescheuerte Idee, denke ich manchmal. Dann erinnere ich mich daran, wie mich 2017 das Pilgervirus infiziert hat und welch bereichernde Erlebnisse wir da und 2022 beim Pilgern hatten. Deswegen soll der Weg das Ziel sein! Das Erlebnis im Vordergrund stehen! Wird es so werden?
Samstag, der 10.05. und ein schaumgebremster Start, denn Pilgern ist das noch nicht wirklich, weil wir wieder zuhause übernachten werden. Geboren aus dem Gefühl der Nähe unseres Etappenzieles und dem Mangel an Pilgerunterkünften. Nicht so viele Kilometer am Anfang und nur leichtes Gepäck. Ausreden, weil wir uns doch vor dem Vorhaben fürchten? Vielleicht, und doch ist es vermutlich genau die richtige Entscheidung, wie sich zwei Tage später zeigen soll.
Wie das so ist bei uns, wir kommen später weg als geplant. Immer haben wir das Gefühl, noch etwas erledigen zu müssen. Eine Eigenheit, die uns schon immer anhängt, in Verbindung mit dem Wohnort. Genau aus diesem Grund kommen wir auch nicht um Begegnungen mit Nachbarn und einem anderen Dorfbewohner herum. Etwas, was ich gerne vermieden hätte.
Warum? Keine Ahnung, aber vielleicht weil ich tief in mir drin befürchte, schneller wieder da zu sein als mir lieb ist, was dann wieder Fragen aufwirft.
Auf bekannten Wegen laufen wir bis Elsterberg und von da an auf einem sehr schönen Wanderweg an der Weißen Elster entlang. Das Wetter ist optimal! Sonnenschein, nicht zu warm und noch dazu zum großen Teil schattige Wege.
Unser erster Rastplatz:
Gerade an diesem Wochenende ist ein größeres Wanderevent. Der Weg ist besonders ausgeschildert und sehr viele Wanderer sind unterwegs. Immer wieder hängen auch Spruchblätter an den Bäumen und einen wählen wir uns zum Leitspruch:
Was für ein bescheuerter Spruch für eine Pilgerreise! In dem Moment finden wir ihn aber gut. Naja, so ist das eben manchmal.
Ich genieße den leichten Rucksack. Nur Wasserflaschen und unsere Jacken, die wir nur am Morgen brauchen, sind drin. Sabine hat gar kein Gepäck und kann ihre linke Schulter noch ein wenig schonen. Sie schmerzt seit ein paar Wochen. Obwohl es schon besser geworden ist, befürchte ich Schlimmes, wenn sie dann ihren Rucksack tragen muss.
Was für einen traumhaften Wanderweg an der Weißen Elster entlang haben wir uns da zum Einstieg gewählt?! Ab Elsterberg geht es viel über schattige Waldwege.
Mal blicken wir von oben herab auf den träge, dahinfliesenden Fluss, dann laufen wir wieder an seinem Rand entlang. Je weiter wir kommen um so ungezähmter wird das Flussbett. Oft plätschert das Wasser um oder über große Steine. Wild romantisch und wäre an diesem Tag nicht gerade so viel los auf dem Weg, eine Landschaft, in der man Zeit und Raum vergessen kann. So mögen wir Wandern/Pilgern!
Es zieht aber auch andere an diesen Ort. Kletterer, die mit Bergsteigerausrüstung die schroffen Felswände erklimmen.
Kleinere und größere Gruppen, die am Wanderevent teilnehmen oder auch nur so unterwegs sind. Ein um einige Jahre jüngeres Wanderpärchen kommt ähnlich schnell voran wie wir. Auch sie genießen die Natur, bleiben öfter stehen, um sich umzuschauen und wir überholen uns immer wieder gegenseitig.
Was mir auffällt, ist ihr federnder Gang. Geschmeidig und fließend sind die Bewegungen. Nicht wie unser harter Schritt. Unsere Stoßdämpfer sind halt nieder. Reparatur vermutlich unmöglich!
Nach etwas mehr als 17km betreten wir beim Lochbauern den ausgeschilderten Jakobsweg, dessen Wegweisern wir dann bis Plauen folgen.
Am Bahnhof Mitte in Plauen werden wir von unserem jüngsten Sohn abgeholt.
Die ersten knapp 24km sind gegangen und doch fühlt es sich noch nicht wie Pilgern an, weil wir die Nacht im eigenen Bett verbringen werden. Das ist es aber nicht, was mich deprimiert. Es ist die Erkenntnis, dass ich schon am ersten Tag spüre, wie sehr meine Leistungsfähigkeit in den letzten drei Jahren nachgelassen hat. Etappen wie noch 2022 oder gar die Durchschnittsetappen von 2017, mit 30-40km am Tag sind nicht mehr zu schaffen.
Das Alter, die Krebserkrankung und die OPs haben Spuren hinterlassen, auch wenn ich mir das nicht eingestehen will!
11.05. Tag 2:
Blick vom Schloss in Plauen zur Johanniskirche:
Heute laufen wir eine Etappe, die ich 2017 schon allein und später in einem kleinen Abschnitt auch schon mit Sabine gelaufen bin. Es ist ein sehr schöner Weg mit weiten Blicken in die vogtländische Landschaft. Erst der Vogtland-Panorama-Weg, dann ab Kürbitz der Butterweg, ein alter Teil der Via-Imperii.
Übernachtungsbedingt ist es eine kurze Etappe von nur 12,3km und immer noch fühlt es sich nicht nach Pilgern an. Wir starten von zu Hause mit dem Auto, parken in Plauen beim Bahnhof Mitte und suchen erst einmal das alte Schloss auf. Bei strahlendem Sonnenschein genießen wir den Ausblick auf Stadt und Landschaft.
In der Johanniskirche wollen wir uns unseren ersten Stempel holen, sehen aber davon ab, weil gerade ein Gottesdienst abgehalten wird. Die Kirche hat früher zum Deutschritter-Komturhof von Plauen gehört. Wir verweilen ein Stück und stellen uns vor, wie es zu der Zeit, in der ich die Geschichte um „Jobst“ angesiedelt habe, dort aussah.
Wie hat es sich für Pilger in dieser Zeit angefühlt, auf so eine Reise zu gehen? Wie haben sie ihren Weg gefunden? Fragen, die wir uns während unserer Pilgertour immer wieder stellen.
Entspannt und leicht läuft es sich, noch ohne schweren Rucksack, auf breiten Wegen an der Weißen Elster entlang.
Ab Kürbitz gehen wir auf dem Butterweg weiter. Wenn man die Augen offen hält, kann man die Rinnen im Gestein sehen, die eisenbereifte Wagen im Mittelalter auf diesem Weg hinterlassen haben.
Schön, dass der Pilgerweg heute immer wieder auf solchen Wegabschnitten entlang führt, wobei das ja nur dann möglich ist, wenn nicht moderne Straßen die alte Trassenführung nutzen.
Schon am zeitigen Nachmittag kommen wir in Weischlitz an, fahren mit dem Zug nach Plauen und von da mit dem Auto nach Hause.
Das ist noch kein Pilgern, stelle ich fest! Aber morgen, morgen geht es dann richtig los.