Stomabeutel

Bekommt jeder das, was er verdient?

Der Triumphator

Mein Körper zeigt mir, wer am längeren Hebel sitzt. Mit erhobenem Stinkefinger – man könnte es wörtlich nehmen, wenn man auf Mount Peak blickt – triumphiert er über den Kopf.
Zwei Wochen hat die Hintertür funktioniert, bis Spitting Devil sie zuknallt. Er, oder besser gesagt mein Darm will seine Ruhe haben beim Arbeiten. Und welche Zeit wäre dazu besser geeignet, als die, wenn der Rest des Körpers ruht.
Also lagert mein Körper irgendwo etwas zwischen und nimmt, wie er es sich in den über sechzig Jahren vorher angewöhnt hat, in der Nacht um 01:00 Uhr die Verarbeitung in Angriff.

Ich wiege mich in Sicherheit und schlafe, seit ich meine Essgewohnheiten umgestellt habe, ohne ständig zu kontrollieren, wie voll mein Stomabeutel ist.
Weckt mich schließlich das wilde Gebaren von Spitting Devil und Mount Peak, oder fühle ich wie der Beutelinhalt sich zwischen Klebefläche und Haut in die Freiheit schiebt? Ich kann es nicht sagen, aber auf jeden Fall finden sich meine suchenden Finger in der Pampe wieder, die sich schon auf meinem Bauch und im Pyjamaoberteil sammelt.
Schlagartig bin ich munter und nur ein Gedanke beherrscht mich: ›Schnell ins Bad, bevor ich das Bett einsaue!‹
Mit der rechten Hand drücke ich den Beutel an den Bauch, damit er sich beim Laufen nicht vollends löst und mit der linken taste ich mich zur Tür, denn Licht will ich nicht anschalten. Meine Frau muss ja nicht auch noch unter meinem gestörten Schlaf leiden.
Wie schon beim Fühlen vermutet, hat sich erneut der obere Teil des Beutels gelöst und eine ansehnliche Menge vom Inhalt herausgedrückt. Vorsorglicherweise habe ich jetzt immer alles bereitliegen, um schnell reagieren zu können, was sich bewährt.
Die grobe Reinigung nehme ich im Bad vor, wobei wieder einige Pflegekompressen drauf gehen. Danach drücke ich eine Kompresse auf das Stoma, damit Spitting Devil nicht in Versuchung kommt meinen Weg zu markieren und wechsele in den Raum, wo ich den Beuteltausch immer vornehme.
Im Liegen kann ich die Klebefläche einfach besser andrücken, um einen sichereren Halt zu erreichen.
Es erweist sich auch diesmal als Geduldspiel, die Haut sauber und trocken zu bekommen, weil der kleine Spuckteufel voll in Fahrt ist. Jedes Mal wenn ich nach dem Beutel greife, fördert er wieder etwas zutage.

Es ist 02:30 Uhr und ich habe es nach einer knappen Stunde endlich geschafft, den neuen Beutel aufzukleben.
Langes Andrücken ist mir aber nicht vergönnt, denn mein Widersacher gibt keine Ruhe. Dabei weiterhin Aufmassieren bringt nichts, weil ich so vielleicht etwas vom Auswurf unter die Klebefläche schiebe.
Also mache ich mich ans Aufräumen und Säubern.
Was ich aus dem Pyjamaoberteil herauswasche, ist nicht die Menge, die ich vor dem Umstellen der Essgewohnheiten entfernen musste. Im Beutel war auch nicht so viel, aber es hat dennoch gereicht, ihn zu lösen.
Warum ist mir schleierhaft, denn voll war er mit Sicherheit nicht. Vielleicht war es dicke Luft, doch meine Schlafgegner verraten mir das nicht.
Auch dieses Mal gelingt es mir einen sauberen Schlafanzug anzuziehen, ohne meine Frau zu wecken.
Ich bewundere ihren gesegneten Schlaf, der es mir erlaubt Licht anzumachen und auch die Bettwäsche auf Verschmutzung zu kontrollieren.
Schließlich liege ich wieder im Bett und versuche die Nachtruhe fortzusetzen. Weil mir wieder mein Kopf im Wege ist, ohne den gewünschten Erfolg.
Ich spüre, das Spitting Devil seine Nachtschicht noch nicht beendet hat. Deutlich nehme ich die Bewegungen des Stomas wahr. Fühle, wie Nachschub in den Beutel gedrückt wird und es sich im oberen Bereich staut.
Unablässig tasten meine Hände den Kleberand ab.
Alles dicht, aber im oberen Beutelbereich habe ich schon wieder eine kleine Presspackung. Die klebrige Paste rutscht im Liegen einfach nicht nach unten. Also stehe ich wieder auf und wechsele ins Wohnzimmer.
In der Couchecke, möglichst aufrecht sitzend, muss ich selbst da ein wenig nachhelfen, um den Auswurf nach unten zu bringen.
Der Fernseher soll mich ablenken und diesmal habe ich sogar Glück. Ich erwische einen spannenden Triller, den ich bis zum Ende anschaue. Der nachfolgende Film ist genauso spannend, aber wieder aufkommende Müdigkeit lässt mich erneut das Bett aufsuchen.
Eine halbe Stunde später sitze ich jedoch erneut vor dem Fernseher, weil ich keine Ruhe finde und erst um 06:00 Uhr krieche ich wieder ins Bett.
Meine Frau wollte gerade aufstehen, um nach mir zu sehen, kuschelt sich jetzt aber an mich heran.
Ist es das, was mich zur Ruhe bringt, oder liegt es daran, dass Spitting Devil nichts mehr hat, womit er spielen kann? Egal, eine kurze Ruhephase ist mir noch vergönnt, sie kann jedoch den erholsamen Schlaf einer ruhigen Nacht nicht ersetzen.
Der Ärger darüber, das ich auch mit dem Trick abends nichts mehr zu essen, die nächtliche Ruhestörung nicht verhindern kann, beschäftigt mich den ganzen Tag. Meine Gedanken drehen sich im Kreis, weshalb auch die nächste Nacht zur Tortur wird.
Die Nachtschicht meines Verdauungsapparates beginnt auch da gegen 01:00 Uhr und die Panik vor einem erneuten Unfall, lässt den Schlaf fliehen.
Undicht wird nichts, aber ich verbringe ähnlich viele Stunden vor dem Fernseher und suche erst gegen Morgen das Schlafzimmer wieder auf.
Zombiehaft wandle ich durch den Tag und bin dann so fertig, dass ich in der nächsten Nacht nicht mitbekomme, wie Spitting Devil zu Hochform aufläuft. Erst als sich etwas vom Beutelinhalt unter der Klebefläche hervordrängt, schrillen die Alarmglocken.
Das schon bekannte Ritual wiederholt sich, doch diesmal diesmal schaffe ich es nicht, ruhig zu bleiben.
Ich schimpfe vor mich hin und beschimpfe das Stoma. Meine Kraft und Geduld sind aufgebraucht, weshalb mir auch die eine oder andere Träne über die Wange rinnt, während ich Dinge von mir gebe, die ich lieber nicht niederschreibe. Diesmal bin ich ein wenig schneller fertig, weil ich ein kurzes Zeitfenster erwische, in dem Ruhe einkehrt.
Nachdem der Beutel aufgeklebt ist, beobachte ich durch das Sichtfenster wie Spitting Devil kämpft um sich zu befreien, oder den Darminhalt herauszufördern.
Er gibt alles! Verzieht sein Spuckmaul zu einer zornigen Grimmasse, die sicher der ähnelt, die sich kurz zuvor in meinem Gesicht abzeichnete. Dann zieht er sich zurück, als wolle er seinen ursprünglichen Lebensraum aufsuchen. Oder macht er das nur, um einem Bagger gleich, die nächste Ladung herauszuschaufeln?
Egal, ich erkenne aber dabei den möglichen Grund für die nächtlichen Einsätze:
Dort wo das Stoma mit der Haut verwachsen ist, zieht sich Spitting Devil so weit in den Bauchraum zurück, dass sein Spuckmaul tiefer liegt als die Klebefläche des Beutels. Als er dann mit etwas dickerer Masse zurückkommt, drückt das den Kleberand ein wenig hoch.
Schnell richte ich mich auf, damit, der Schwerkraft entsprechend die Lava ihren Weg in den unteren Beutelbereich findet.

Das Stoma hat sich anscheinend verändert, denn so heftiges Agieren, konnte ich vorher nicht beobachten. Mir wird aber auch klar, dass darin vermutlich das Problem liegt.
Im Schlaf auf dem Rücken liegend, drückt Spitting Devil immer mehr Masse in den oberen Beutelbereich, und weil ich vermutlich zu wenig trinke, bildet die dickliche Masse eine Presspackung.
Eins kommt zum Anderen und der Beutel löst sich im oberen Teil.

Ich nehme diese Erkenntnis als Ansatzpunkt und quäle mir in den nächsten Tagen mehr Wasser hinein. Zwei Liter und mehr zu trinken fällt mir nicht leicht, das war schon immer mein Dilemma.
Gut, ich trinke morgens und am Nachmittag auch noch Kaffee und ein Bier am Abend, aber zählt das, oder spült das eher die Nieren?
Keine Ahnung, aber mein Bemühen scheint sich auszuzahlen.
Es gibt vorerst keine Presspackungen mehr. Der Beutelinhalt ist relativ flüssig und verteilt sich über den gesamten Stauraum.
Einen unruhigen Schlaf habe ich trotzdem und stehe wenigstens zwei oder drei Mal auf, um im Beutel Platz zu schaffen. Das Gute ist aber, ich schlafe dann wieder ein, weil ich mich sicherer fühle.
Einzig, dass viele Wasser trinken, ist für mich eine schwere Aufgabe, doch mir fällt eine Entdeckung von den ersten Wochen mit dem Stoma ein:
In den kalten Wintertagen mache ich mir gerne Tee. Meine Lieblingssorte ist eine Mischung aus Hagebutten- und Apfeltee. Meist trinke ich dann einen Liter in relativ kurzer Zeit, bevor er kalt wird.
Der Tee hatte damals die Wirkung, den Auswurf von Spitting Devil sehr zu verflüssigen, ja fast abführend zu wirken, was ich zu der Zeit als negativ empfand. Jetzt soll mir das helfen, ist meine Hoffnung.
Und bisher scheint es zu funktionieren. Ich muss nur noch herausbekommen, welche Zeiten die günstigsten dafür sind, denn bis die Wirkung einsetzt, dauert es immer ein Stück.

Ein bisschen Mut kehrt zurück, auch wenn ich nur von einem Tag auf den nächsten existiere. Leben will ich es nicht nennen, denn das Stoma beeinflusst mich so sehr, dass das Leben an mir vorbeigeht.
Meine neuen Essgewohnheiten wieder aufzugeben, wage ich nicht, weil sich ja der Beutelinhalt in der Nacht dadurch sehr verringert hat. Also schlage ich auch Einladungen zu Feiern aus, denn ich habe keine Lust anderen beim Essen zuzusehen. Außerdem fühle ich mich nicht wohl unter Leuten, seit der Beutel meinen Bauch ziert. Oft habe ich das Gefühl unangenehm zu riechen, oder Spitting Devil gibt Geräusche von sich, deren ich mich schäme.
Das Gleiche gilt für die Kleidung.
So richtig wohl fühle ich mich nur in einem Jogginganzug. Ich kann den Hosenbund unter den Beutel belassen, muss aber die Hosenbeine unten ein wenig umschlagen, weil sie sonst auf dem Boden schleifen. Das Oberteil des Anzuges verdeckt den Beutel ganz gut und außerdem sieht mich Zuhause nur meine Frau, die es nicht stört. Sagt sie jedenfalls.
Bei anderer Bekleidung wird es hingegen schon schwieriger, denn alles, was ich habe, ist nicht auf das Beutelmanagement ausgelegt.
Will ich eine Hose anziehen wie gewohnt, ist der Bund genau über dem Stoma. Schließe ich sie unter dem Klebeteil des Beutels, hängt der Schritt so tief, wie es manchen Jugendlichen jetzt gefällt. Ich zeige mich aber ungern so, als hätte ich die Hosen voll.
Also trage ich die Hosen jetzt nur noch mit Hosenträgern und schließe weder Bund noch Reißverschluss. Das darüberfallende Hemd verdeckt es gut.
Der Nachteil: Selbst bei den weitesten Hosen, die ich habe, bildet sich vor allem beim Sitzen, wieder eine Presspackung oben im Beutel. Also fühle ich mich in solcher Kleidung nur kurzzeitig wohl und verlasse Haus und Grundstück nur kurz, zu den notwendigsten Anlässen.
Meine neueste Hoffnung, mehr Flüssigkeit zu mir nehmen und vielleicht wird das dann auch besser.
So ziehen sich die Tage, bis zur nächsten Ballondilation, die mich hoffentlich dem Ziel näher bringt, einen normalen Alltag aufzunehmen.

Es gibt noch keine Bewertungen. Schreibe selbst die erste Bewertung!